Franz Liszt, sich selbst »essentialisierende« Sinti und Roma, Tereza Boučková: Sie gehören zu den Autor_innen und Redner_innen, die Sinti und Roma »von Natur aus« dazu vorbestimmt sehen, anders als Nicht-Roma zu agieren. Diejenigen Sinti und Roma, deren Verhalten nicht sonderlich abweicht, werden als Ausnahmen, vielleicht sogar als Anomalie in der Natur erachtet.
Noch entscheidender ist, dass jedes Verhalten, das dem »heißblütigen« Stereotyp nicht entspricht oder das von etwas anderem als den Blumen, Bergen und »ethnischen Genen« der Natur hervorgerufen wurde, heruntergespielt oder ignoriert wird.
So muss für Festivalveranstalter_innen und Autor_innen von CD-Beiheften Roma-Musik oft »feurig«, »wild« und »leidenschaftlich« sein. Sehr häufig versäumen sie es jedoch, introspektive, intellektuelle, philosophisch anspruchsvolle, sorgfältig arrangierte oder mit aus theoretischer Sicht fortschrittlicher Harmonik komponierte Roma-Musik zu präsentieren, zu erwähnen, geschweige denn zu beschreiben oder zu analysieren.
Selbst langatmige und detailreiche Beschreibungen von Kunst oder Leben der Sinti und Roma (wie zum Beispiel das Werk von Marek Jakoubek) reduzieren nicht selten eine gesamte Gruppe von Menschen auf einen Archetyp, der fast jeder Entsprechung in der Wirklichkeit entbehrt.
So sind Menschen manchmal überrascht, wenn sie erfahren, dass ein so formales und institutionalisiertes Gebiet wie die abendländische Kunstmusik (die »klassische« Musik) nicht nur von realen und imaginären Roma-Themen durchzogen ist, sondern auch von einer großen Anzahl wirklicher Sinti und Roma in Konzertkleidung geprägt wurde und wird.
János Bihari, Panna Czinka, Pista Dankó und Riccardo Sahiti – dies sind nur einige Komponist_innen, Musiker_innen und Dirigent_innen aus den Reihen der Sinti und Roma, die die europäische Kunstmusik seit dem 18. Jahrhundert mit einflussreichen Projekten bereichert haben.
Instrumentenbauer der Sinti und Roma haben ebenfalls in zahlreichen Ländern zur Klangfarbe von Orchestern und Kammermusikensembles beigetragen. Und während es in vielen traditionsbewussten Gesellschaften eher unüblich ist, dass Frauen Musikinstrumente spielen, wurden in Roma-Familien Mädchen nicht vom formalen Unterricht auf der Geige (siehe: Die Mädchen des Rajkó Ensembles), der Gitarre, dem Zymbal oder anderen Instrumenten ausgeschlossen.
Seit Jahrhunderten ist die Musik – und vielleicht die Kunstmusik im Besonderen – für Sinti und Roma ein Schauplatz, auf dem sie aus kulturellen und technologischen Weiterentwicklungen Nutzen ziehen und an deren Hervorbringung sie teilhaben können.
Petra Gelbart
Übersetzer: Christoph Erlenkamp
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