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Martin Zingg

Die Lyrikerin Mariella Mehr

Ayse Yavas | Mariella Mehr | Fotografie | Schweiz | lit_00636 Rights held by: Ayse Yavas | Licensed by: Limmat Verlag | Licensed under: Rights of Use | Provided by: Limmat Verlag (Zurich/Switzerland)

In der Öffentlichkeit wird Mariella Mehr in erster Linie als Autorin von Prosawerken wahrgenommen – neben ihren zahlreichen Romanen, Theaterstücken und Reportagen hat sie aber auch ein umfangreiches und eigenständiges lyrisches Werk vorzuweisen. Bis dato (2018) liegen von ihr vier Gedichtbände vor, daneben hat sie auch Gedichte in Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht.

1983 – zwei Jahre nach ihrem Romanerstling »steinzeit« (1980) – erscheint Mariella Mehrs erster Gedichtband »in diesen traum schlendert ein roter findling. gedichte«. Die Gedichte sind formal und inhaltlich sehr unterschiedlich, einigen Gedichten kann man etwas Tastendes, Suchendes anmerken.

Mariella Mehr | [Gedicht ohne Titel 1] | Gedicht | lit_00062 Rights held by: Mariella Mehr | Licensed by: Zytglogge Verlag | Licensed under: Rights of Use | Provided by: Zytglogge Verlag – Publishing House (Bern/Switzerland)

Der Band enthält Gedichte, die ein starkes Gewicht auf das einzelne Wort legen, indem sie es isolieren, auch im Bestreben, vieles mit wenigen Worten mitzuteilen. Andere Gedichte wiederum holen buchstäblich aus, scheinen zu erzählen. Sie richten sich an ein Du, dem sie vertrauen wollen, und suchen eine Sprache, in welcher dieses Vertrauen haltbar werden kann.

1998 – nach Jahren, in denen sie sich vor allem der Prosa gewidmet hat – erscheint der zweite Gedichtband von Mariella Mehr: »Nachrichten aus dem Exil: Gedichte / Nevipe andar o exilo: Gila«. In dieser Zeit war die Autorin, nachdem sie mehrfach körperlich angegriffen wurde, nach Italien ausgewandert, und lebte in der Toskana (mittlerweile lebt und arbeitet sie wieder in der Schweiz).

Über die Erfahrungen, die sie ins Exil gedrängt haben, gibt Mariella Mehr in ihren Gedichten nur indirekt etwas preis. Spürbar ist neben dem Leiden auch immer wieder die Freude an der noch unbekannten Umgebung, die Lust, neue Erfahrungen zu machen.

Die Gedichte, auch dort, wo sie leidvolle Erfahrungen andeuten, haben eine große Musikalität und bestechen durch ihren Rhythmus und ihre Bildkraft. Eine Besonderheit dieses Bandes ist seine Zweisprachigkeit: Die Gedichte liegen alle, von Rajko Djurić übersetzt, auch in Romanes vor.

Die Präsentation in zwei Sprachen setzt Mariella Mehr in ihrem dritten Band fort: »Widerwelten / Ušalinake ljumi« erscheint 2001, und von den 45 Gedichten hat Mišo Nikolić deren 15 ins Romanes übersetzt. In diesem Band scheint sich die Lebendigkeit, die Euphorie, die den Band davor noch gelegentlich prägte, etwas gelegt zu haben. Viel ist vom Tod die Rede, öfter ist beim Lesen ein melancholischer Ton zu vernehmen, und davon wird auch die Sprache erfasst, deren Verlässlichkeit in Zweifel gezogen wird.

2003 erscheint der bisher jüngste Gedichtband: »Das Sternbild des Wolfes. Gedichte«. 75 Gedichte enthält der Band, und er erscheint ohne Übersetzungen. Die Sammlung greift die verschiedenen Tonarten, die unterschiedlichen Themen der beiden vorangegangenen Bände noch einmal auf.

Heiterkeit steht hier nahe neben Trauer, Gelassenheit reibt sich an Enttäuschung. In ihren ungewöhnlich bildmächtigen Gedichten schafft es Mariella Mehr, die so unterschiedlichen Grundstimmungen in ein höchst eindrückliches Verhältnis zu setzen. Das macht ihre Gedichte zu bewegenden Zeugnissen.

Mariella Mehr | [Gedicht ohne Titel 4] | Gedicht | lit_00097 Rights held by: Mariella Mehr | Licensed by: Mariella Mehr | Licensed under: CC-BY-NC-ND 4.0 International | Provided by: Drava – Publishing House (Klagenfurt/Austria)

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