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Tayo: Künstlerischer Feminismus Ein Gespräch mit Tayo Awosusi-Onutor

Von Petra Gelbart

Veronica Perez | Portrait of Tayo | Fotografie | Deutschland | 1. September 2017 | mus_00155 Rights held by: Veronica Perez | Licensed by: Tayo Awosusi-Onutor | Licensed under: CC-BY-NC-ND 4.0 International | Provided by: Tayo Awosusi-Onutor – Private Archive

»Was mich selbst betrifft, habe ich gemerkt, dass ich schon ein Statement mache, wenn ich bloß auftrete.«

RomArchive: Was sind Ihre Lieblingsgenres der Sinti- und Roma-Musik in Deutschland, welche Musik überhaupt sagt Ihnen besonders zu – und welchen Einfluss hat sie auf Ihre eigene kreative Arbeit?

Tayo: Ich genieße die Vielfalt unserer Musik, sei es Jazz, Klassik, Swing oder die sogenannte traditionelle Musik. Ferenc Snétberger zum Beispiel ist ein Musiker, den ich sehr bewundere. Aber ich liebe auch Soul, Funk, RnB, Gospel und afrikanische Musik. All diese Stilrichtungen zusammengenommen ergeben die Musik, mit der ich aufgewachsen bin.

Ich glaube, jedes Lied, das eine Künstlerin gerne gehört hat, hinterlässt seinen Einfluss. Es wird alles zu einem Teil von dir. Und natürlich deine eigene Geschichte, die Geschichte deiner Familie. Du kannst »Djelem Djelem« auf die kunstvollste, perfekte Weise singen – aber was für ein Unterschied ist es, wenn sich in der Geschichte, die dieses Lied erzählt, die Geschichte deiner Familie widerspiegelt?

Die Texte meiner eigenen Lieder sind auf Englisch, Romanes und Deutsch. Es sind die Sprachen, mit denen ich aufgewachsen bin und mit denen ich mich wohlfühle, und das möchte ich mit meinem Publikum teilen.

RA: Hat sich Ihr künstlerisches Anliegen oder Ihr Identitätsgefühl durch Ihre Ausbildung und Ihre Arbeit verändert?

T: Ja, absolut! Ich bin sehr dankbar, dass ich Teil der Initiative IniRromnja sein kann. Wir sind eine Gruppe von Sintizza und Romnja, die sich zusammengetan hat, um gegen Rassismus, der sich gegen Sinti und Roma richtet, zu arbeiten.

»Zu sehen, was unsere Menschen anzubieten haben in Sachen Wissenschaft, Kunst und Aktivismus, ist zugleich überwältigend und sehr ermutigend.«

Über die letzten etwa zehn Jahre hat sich unsere Gruppe enorm weiterentwickelt und immer enger verbunden und auch ein internationales Netzwerk aufgebaut. Wir sind mit so vielen wunderbaren Frauen in Kontakt, in Deutschland, Spanien, Serbien, Tschechien, den USA und anderen Ländern. Zu sehen, was unsere Menschen anzubieten haben in Sachen Wissenschaft, Kunst und Aktivismus, ist zugleich überwältigend und sehr ermutigend.

Allerdings sind wir keine homogene Gruppe, wie in Büchern, Filmen und anderen Medien behauptet worden ist, sondern eine ganz diverse Gruppe, die viele großartige Beiträge zu bieten hat. Roma und Sinti in so vielen Bereichen aktiv zu sehen, ist sehr heilsam. Ich zum Beispiel identifiziere mich als Afro-Sintizza oder Schwarze Sintizza. Ich bekenne mich zu meiner Identität, und indem ich das tue – also indem ich ich selbst bin –, kann ich es auch nicht trennen von dem, was ich produziere, also von Dingen, die wir Kunst nennen.

RA: Sie waren auch mit RomaniPhen an verschiedenen sozialen Projekten mit progressivem Ansatz beteiligt, darunter Aufführungen und Konferenzen. Wer sind das Publikum und die Zielgruppen für diese Arbeit, und wie reagieren die Menschen darauf?

T: RomaniPhen ist ein feministisches, von Romnja geleitetes Archiv mit Sitz in Berlin. Natürlich fragen die Leute oft, was ein feministisches Archiv sei. Nun, wenn wir die Geschichte des Rassismus gegen unser Volk betrachten, sehen wir, dass das Bild von »der Roma-Frau« das Hauptziel des gegen Sinti und Roma gerichteten Rassismus ist. Es gibt so viele Beispiele dafür, in der Oper, in der Musik, in der Literatur und in anderen Bereichen. Zugleich haben so viele fantastische Sinti- und Roma-Frauen uns derart viel gegeben: als Autorinnen, Filmemacherinnen, Malerinnen, Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen. Wir wollen diese Frauen ins Licht stellen und ihre großartige Arbeit hervorheben.

»Eins unserer Ziele ist zu betonen, dass wir keine Objekte, sondern Subjekte sind.«

Oft sind die Leute überrascht und beeindruckt, denn was sie bei unseren Veranstaltungen lernen, wird normalerweise nicht an Schulen oder Universitäten gelehrt. Eins unserer Ziele ist zu betonen, dass wir keine Objekte, sondern Subjekte sind. In unseren Gesellschaften gibt es viel Information – oder das, was als »Allgemeinwissen« gilt – über Sinti und Roma. Dieses »Wissen« ist zumeist voller Rassismus. Unser Ziel ist es, andere Perspektiven aufzuzeigen, nämlich die Wahrheit.

Eins unserer wichtigen Projekte ist der Romnja Power Month. Diesen Monat begehen wir jährlich vom 8. März, dem Internationalen Frauentag, bis zum 8. April, dem Internationalen Tag der Sinti und Roma. Den ganzen Monat über richten wir Veranstaltungen aus, zum Beispiel Lesungen, Diskussionsrunden und Konzerte. Und immer wieder staunen die Leute, wenn sie zum ersten Mal von Frauen wie Ilona Lagrene, Anita Awosusi, Fatima Hartmann, Ceija Stojka oder Alfreda Noncia Markowska hören.

RA: Ihr sehr erfolgreiches Konzert auf dem Festival Prague Pride in Prag ist ein Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Sinti- und Roma-Gruppen. Würden Sie uns ein paar Gedanken zu solchen Querverbindungen und ihrer Bedeutung mitteilen?

T: Ehrlich gesagt liebe ich solche Querverbindungen. Ich spüre, es gibt eine sehr tiefe gemeinsame Geschichte, aus der wir lernen können und finde es wunderbar, uns zusammenzufinden, Gedanken auszutauschen und miteinander zu arbeiten. Manche unserer Schwestern und Brüder sind schwierigen, teils lebensbedrohlichen Bedingungen ausgesetzt. Wir Sinti und Roma sollten enger zusammenrücken und gemeinsam gegen diese hässliche Sache namens Rassismus kämpfen.

Gudrun Arndt | Tayo on Stage | Fotografie | Deutschland | 1. September 2017 | mus_00157 Rights held by: Gudrun Arndt | Licensed by: Tayo Awosusi-Onutor | Licensed under: CC-BY-NC-ND 4.0 International | Provided by: Tayo Awosusi-Onutor – Private Archive

RA: Sind Sie auch schon als Mentorin für andere Sinti- und Roma-Künstler_innen oder andere tätig gewesen?

T: Ja – zum Beispiel habe ich eine Gruppe junger Musiker_innen bei einer Jugendkonferenz betreut. Zu sehen, wie junge Menschen zusammenkommen und wie talentiert sie sind, ist fantastisch. In dem Fall war es eine Gruppe junger Sinti und Roma, die musikalisch zusammenarbeiteten, ihre Erfahrungen, ihre Musik und ihre Texte einbrachten. Sie genossen es, einander durch die Musik zu begegnen und die Vielfalt unserer Sprache, also des Romanes, zu erleben. Das war sehr schön.

Ich plane auch in Berlin einen Romnja-Chor zu gründen, hoffentlich schon bald.

RA: Wie sehen Sie die Zukunft der Kommunikation unter Roma und Sinti in Deutschland und darüber hinaus? Glauben Sie, die Musik hat Einfluss auf das gegenseitige Verständnis zwischen Menschen aus verschiedenen Sprachräumen oder Dialektgruppen?

TAYO: Ich sehe, dass Sinti- und Roma-Gruppen enger zusammenrücken, und das ist auf jeden Fall der richtige Weg. Ich weiß von jungen Musiker_innen – Sinti –, die tatsächlich eine andere Variante unserer Sprache, nämlich die Sprache der serbischen Rom_nja, lernten, indem sie mit ihnen und ihrer Musik im Austausch waren. Das ist wunderbar.

»Ich bin Sängerin. Ich bin Schwarz. Ich bin Sintizza. Ich bin Deutsche.«

Roma und Sinti finden in ganz unterschiedlichen Kontexten zusammen – Kirche, Berufsleben, private Anlässe. Musik kann ein großartiges Werkzeug sein, um die Menschen noch enger in Verbindung zu bringen. Was mich selbst betrifft, habe ich gemerkt, dass ich schon ein Statement mache, wenn ich bloß auftrete. Ich bin Sängerin. Ich bin Schwarz. Ich bin Sintizza. Ich bin Deutsche. Ich singe auf Englisch, aber auch auf Romanes – auf dem Sinti-Romanes, mit dem ich aufgewachsen bin, aber ebenso auf dem Romanes serbischer, tschechischer oder spanischer Rom_nja.

Ich hoffe und bete, dass ich damit mehr und mehr Menschen erreichen kann und ein Zeichen setze gegen den Rassismus gegen Sinti und Roma.

audio
Tayo Jessica Awosusi-Onutor | Zu viel Soul | Music clip | Deutschland | 1. Januar 2002 - 1. September 2017 | mus_11063

Rights held by: Petra Gelbart (text) — Michael Ebmeyer (translation) | Licensed by: Petra Gelbart (text) — Michael Ebmeyer (translation) | Licensed under: CC-BY-NC 3.0 Germany | Provided by: RomArchive