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Eszter Lázár und Christian Gasser

Die Repräsentation von »Rollen der Sinti und Roma« als Möglichkeit, das »Andere« in Animationsfilmen zu dekonstruieren

1938 bewarb sich Mary Ford, eine aufstrebende Illustratorin, um einen Job bei den Walt Disney Studios. Im Ablehnungsschreiben, das sie von einer Mitarbeiterin der Personalabteilung erhielt, konnte sie die folgende Begründung lesen:

»Frauen machen bezüglich der Vorbereitung der Zeichentrickfilme für die Leinwand keine kreative Arbeit, da diese Aufgabe ausschließlich von jungen Männern ausgeübt wird. Aus diesem Grund werden Mädchen für die Schule nicht berücksichtigt. Die einzige Arbeit, die Frauen offensteht, besteht darin, die Schriftzeichen auf klaren Zelluloidblättern mit Tusche nachzuzeichnen und dann die Zeichnung auf der Rückseite mit Farbe den Anweisungen entsprechend auszufüllen.«

Wir wissen nicht viel über Mary Ford und darüber, was nachher mit ihr geschah. Höchstwahrscheinlich suchte sie eine Karriere außerhalb der Filmindustrie.

Diese Geschichte erinnert uns daran, dass Frauen in der Hollywood-Filmindustrie nicht die gleiche Macht und kreative Verantwortung hatten wie Männer; Frauen hatten keine (Zeichen-)Werkzeuge in ihren Händen, um in den Walt Disney Studios Geschichten zu erfinden, und bestimmte weibliche Charaktere in Zeichentrickfilmen zeigten sowohl geschlechtliche als auch ethnische Disparitäten. Diese Animationsfilme1 könnten tatsächlich als ein »lebendiger Spiegel« der Ungleichheiten des realen Lebens betrachtet werden.2

In diesem Aufsatz werde ich mich der Veränderungen in der stereotypen Repräsentation von nicht-weißen Roma-Zeichentrickfiguren widmen. Im Blickpunkt steht dabei die Verwendung narrativer und visueller Werkzeuge der Selbstrepräsentation. Die Analyse wird von folgenden Fragen bestimmt: Welche Art von Geschichten werden ausgewählt, um Sinti und Roma mittels der Kunstform Animation und mit am Prozess der Filmherstellung beteiligten Kreativen der Sinti und Roma darzustellen? Auf welche Weise repräsentieren diese Ansätze neue Rollen und neue visuelle Erscheinungsformen der Sinti und Roma?

Unsere Untersuchung zielt darauf ab, den dominanten Blick in Animationsfilmen zu kontextualisieren, in denen Sinti und Roma als Personen selbst eigene Geschichten erzählen und Roma-Charaktere eingesetzt werden, um ein Gegenbild der Sinti und Roma zu entwerfen. Als analytischen Rahmen wenden wir den im Film verwendeten Begriff »Zurückfilmen« an, der ursprünglich bei ethnografischen Filmproduktionen auf eine neue Sprache Bezug nahm, mittels derer über eigene Traditionen und Identitäten zu sprechen möglich wurde. Dieser Begriff ist analog zu der von Ian Hancock geprägten Strategie des »Zurücksprechens«, die sich auf Sinti und Roma bezieht, die ihre eigene Meinung in schriftlicher oder visueller Form artikulieren (Hancock 2010, 38–43).

Mária Horváth | Cigánymesék: Doja a cigánytündér | Fiction | Ungarn | 2015 | fil_00060 Rights held by: Mária Horváth | Licensed by: Kecskemétfilm Ltd. | Licensed under: Rights of Use | Provided by: Kecskemétfilm Ltd. (Kecskemét/Hungary)

Mária Horváth wurde 1952 in Pécs in Ungarn geboren. Sie trat 1971 dem neu gegründeten Filmstudio Kecskemétfilm bei, wo sie Pantomimekurse und …

Animationsfilmregisseur_in, Regie

Bei den von uns betrachteten Beispielen handelt es sich hauptsächlich um Heldinnen – zum Beispiel Doja aus »Doja, the Gypsy Fairy« (›Doja, die »Zigeuner«-Fee‹, Ungarn, 2015) von Mária Horváth; die weiblichen Erzählstimmen in den Puppenanimationen »Mire Bala Kale Hin« (›Das Mädchen mit langem schwarzen Haar‹, Tschechische Republik/Finnland, 2001–03) oder Laurel Price, die Hauptfigur in »Gypsy Ways« (Großbritannien, 2010), die als Traveller ihre Erinnerungen in einer von einer Kindergruppe produzierten Stop-Motion-Animation teilt; sowie von weiblichen Regisseurinnen und ihren Mitarbeiter_innen, wie Katariina Lillqvist, Teréz Orsós, Magda Szécsi, Katalin Macskássy, Mária Horváth und andere.

Die Genderperspektive eröffnet neue Wege, um unterschiedliche – und sich verändernde – Rollen in der (Selbst-)Repräsentation von Sinti und Roma, genauer gesagt der (Selbst-)Repräsentation von Sinti und Roma in Animationsfilmen, zu untersuchen.

Esmeralda, Stereotyp der nicht-weißen Frau

Obwohl das Hauptaugenmerk dieses Aufsatzes nicht auf einer Diskussion der Repräsentation nicht-weißer Minderheiten in der Geschichte des Animationsfilms liegt, ist es dennoch wichtig, einige Beispiele zu nennen, um die stereotype Repräsentation des »Anderen« durch die Mainstream-Animationsfilmindustrie zu demonstrieren. Eines der meistzitierten Beispiele für eine weithin kritisierte Repräsentation einer nicht-weißen weiblichen Figur ist Esmeralda in »The Hunchback of Notre Dame« (›Der Glöckner von Notre Dame‹, USA, 1996).3

Obwohl es viele Adaptionen dieser klassischen Geschichte von Victor Hugo gibt, bleibt Esmeralda in all diesen Werken eine fixierte Figur. Als Heldin besitzt sie »dauerhafte Eigenschaften« wie romantisch, exotisch, dreckig oder arm; sie wird derart als stereotype Romni beschrieben.4

Ungeachtet der Intentionen der Schöpfer_innen kann die »schöne Zigeunerin Esmeralda« nicht aus ihrer Rolle ausbrechen; sie bleibt ein objektivierter und kommodifizierter ethnischer Körper (Schneeweis 2014). Manche Studien betonen ihren – im Vergleich zu ihren weißen Prinzessinnen-Kolleginnen – »aktiven und weitaus erwachseneren« Charakter (Lacroix 2004). Wenn diese Repräsentation zwar einige frühere Stereotypen, zum Beispiel Esmeralda als exotische Figur, zu demontieren vermag, trägt diese doch zu noch einer weiteren Stereotypisierung von Esmeralda bei.

Das ungarische Pendant zu Esmeralda ist »Szaffi« (Ungarn, 1985), das arme und zerzauste »Zigeunermädchen«. Die Verfilmung von 1984 war ein großer Erfolg in Ungarn und basierte, ähnlich wie der »Glöckner von Notre Dame«, auf einem Roman. Hier war es »Der Zigeunerbaron«, der im 19. Jahrhundert von Mór Jókai geschrieben wurde. Beide weiblichen Charaktere sind Produkte der Romantik und verkörpern dementsprechend stereotypische Weiblichkeitsmerkmale freiheitsliebender Sinti und Roma.

Diese Merkmale bestehen auch in den Repräsentationen des 20. Jahrhunderts, besonders in Karikaturen, welche aus der Literatur übernommen wurden und sich seither beständig hielten. In der Folge breiteten sich stereotype Repräsentationen auf Animations- und Realfilme aus und wurden nahezu zur traditionellen Repräsentation der Sinti und Roma.5

Die Erforschung der Repräsentation nicht-weißer Frauen in Cartoons ist seit einigen Jahrzehnten Bestandteil des wissenschaftlichen Curriculums (Wells 1998; Hancock 2007; Schrevel 2003; Zipes, Greenhill, Magnus, Johnston 2015). Üblicherweise konzentrieren sich diese Studien darauf, wie die nicht-weißen Heldinnen in den Animationsfilmen auf stereotype und exotische Weise und in einigen Fällen in rassistischen Tönen visuell dargestellt werden. Da diese Cartoons als Familienunterhaltungsprodukt hergestellt werden, ist es auch wichtig, die Auswirkungen dieser Repräsentationen auf Kinder zu betrachten.

In den weiß-dominierten Walt-Disney-Filmen, in denen die »Anderen« oft verfremdet dargestellt werden, können Kinder häufig gar keine nicht-weißen Charaktere finden, auf die sie sich beziehen könnten. Da diese Filme allein hegemoniale Einstellungen reproduzieren, sind die nicht-weißen Kinder folglich nicht in der Lage, ein positives Selbstbild zu entwickeln. Die »traditionelle« Welt der Märchen und ihre Adaptionen sind aus Charakteren mit einem einzigen, und leicht verständlichen, Unterscheidungsmerkmal – wie reich oder arm, Schönheit oder Biest, gut oder schlecht – aufgebaut. Die Autor_innen zeitgenössischer Erzählungen haben weitaus komplexere Figuren geschaffen. Vielleicht ist dies bereits eine Auswirkung eines postkolonialen Diskurses, der Nachforschungen über die Konstruktion verschiedener Identitäten anstellt – wie zum Beispiel Ethik oder Geschlecht – und reduktionistische, binäre Ansichten problematisiert. (Ashcroft et al. 2000)

Die Geschichten hinter den Animationen

Die Kultur des Geschichtenerzählens unter den Gemeinschaften der Sinti und Roma war schon immer eine wichtige kulturelle Praxis, um die Traditionen lebendig zu halten: Geschichten, Mythen und Legenden werden von Generation zu Generation weitergegeben und verbinden die Vergangenheit mit der Gegenwart. Die mündliche Tradition des Geschichtenerzählens war dabei von Anfang an ein wichtiger Weg, traditionelles Wissen, gemeinsame Abstammung und Geschichte zu vermitteln (Sampson 1964).

In den meisten Fällen basieren die Quellen von Geschichtenerzähler_innen auf Volksmärchen (Zipes 2013). Sie beinhalten deren Szenen, Ereignisse und Schauplätze, magische Charaktere und Hexerei. Während die Beziehung zwischen Mythos und Märchen von verschiedenen Forscher_innen unterschiedlich angegangen wurde (Benedikt 1935; Békési 2004), ist der Prozess der Entsakralisierung als das wichtigste Merkmal eines Mythos zu betrachten, der in eine Erzählung verwandelt wird (Békési 2004).

Diese Erzählungen, paramisi in Romanes, werden sowohl für unterhaltsame als auch für erzieherische Zwecke von den Geschichtenerzähler_innen an die Mitglieder der Community weitergegeben – eine Aufgabe, die von Männern und Frauen gleichermaßen geteilt wird. Im Besonderen haben Frauen Geschichten hauptsächlich in familiärer Umgebung erzählt, während Männer für die öffentlichen Veranstaltungen verantwortlich waren (Rombase 2002).

»Doja, the Gypsy Fairy« (Ungarn, 2015) ist eine Episode aus einer ungarischen Zeichentrickserie mit dem Titel »Cigánymesék« (Ungarn, 2015), die auf der Märchensammlung einer Roma-Schriftstellerin, Magda Szécsi, basiert.6 Szécsis Erzählungen handeln von der Geschichte der Sinti und Roma und davon, wie die bunte Welt der Imagination als Metapher für die schmerzhafte Realität gelten könnte (Békési 2004). Im Animationsfilm sind diese zwei Welten – Imagination und Realität – miteinander verflochten.

Katariina Lillqvist ist eine finnische Animationsfilmerin und Roma-Filmregisseurin, die sich auf Puppenanimation spezialisiert hat. Lillqvist arbeitete mit der in der Slowakei geborenen Roma-Autorin Margita Reiznerova zusammen, um mit »Mire Bala Kale Hin« (Tschechische Republik/Finnland, 2001–03) eine Serie von sechs eigenständigen animierten Kurzfilmen auf der Grundlage von Roma-Märchen zu erstellen. Die Kurzfilmserie, deren Titel in Romanes übersetzt »Mädchen mit langen schwarzen Haaren« bedeutet, entstand zwischen 2001 und 2003.7

Im Prolog mit dem Titel »Tales from the Endless Road« (Finnland, 2001) stellt Lillqvist Legenden über die Herkunft der Sinti und Roma vor: Eine Großmutter erzählt ihrer Enkelin Marushka, wie die Sinti und Roma nach einer großen Katastrophe ihren Herkunftsort in Indien verlassen mussten und wie sie in Folge über Jahrhunderte nach Europa auswanderten, um sich in Regionen auszubreiten, die bis nach Finnland reichten.

Die Quellen der Geschichtenerzähler_innen sind unter anderem Mythen, Legenden und persönliche Lebensgeschichten. Statt diese Geschichten aus psychologischer und soziologischer Sicht zu analysieren, sollten vielmehr ihre politischen Aspekte betrachtet werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie von schwierigen Lebenslagen inspiriert und in die Realität eingebettet sind (Bacchilega 1997). Eine solche Analyse ist geeigneter, Möglichkeiten der Selbstdarstellung der Sinti und Roma als Strategie gegen jene Ungleichheiten zu untersuchen, die die Gemeinschaft erleben musste.

Der postkoloniale Ansatz zeigt nicht nur die Heterogenität der Sinti und Roma, sondern auch die Präsenz anderer unterdrückter Gruppen in Film und Kino. Dies gilt zum Beispiel für Frauen, die nur einen begrenzten Zugang zur Mainstream-Filmwelt haben und meist in stereotypen Rollen dargestellt werden. Zum Beispiel sollten wir die intersektionale Haltung in Szécsis Schriften berücksichtigen, in der die Held_innen hauptsächlich Roma-Frauen sind, die traditionelle Rollen in ihren Familien übernehmen, indem sie Hausarbeiten erledigen und sich um die Familie kümmern (Békési 2004).

Animierte Realität

Paul Wells hat sich in seinem Buch »Understanding Animation« (1998) ausführlich mit der Theorie des Animationsfilms als künstlerische Ausdrucksform beschäftigt. Wells erklärt:

»[Ein] Cartoon« [also ›Animationsfilm‹] hat die Fähigkeit, wichtige Bedeutungen zu vermitteln und sich in sozialen Themen zu engagieren. Kurz gesagt, der Animationsfilm hat die gleiche Fähigkeit, die Orthodoxien von Realfilm-Erzählungen und -Bildern neu zu definieren. Er kann die menschliche Verfasstheit mit gleicher Autorität und Einsicht thematisieren wie der Realfilm.« (Wells 1998, 4)

Animationsfilm ist für viele ein Synonym für Volks- und Märchenerzählungen. Produzent_innen und Regisseur_innen, wie Walt Disney im Westen und Jiří Trnka oder Yuri Norstein im Osten, haben erfolgreich das Potenzial von Animationsfilmen erforscht und dabei phantastische, imaginäre, visionäre oder metaphorische Welten jenseits unserer physischen Gefielde zum Leben erweckt. Bis vor Kurzem galt Animation als geeigneter, das Magische und Fantastische zu illustrieren, als der Realfilm. Zudem waren diese allgemein bekannten und ansprechenden Volksmärchen ein perfektes Genre, da Walt Disney bewusst darauf abzielte, ein breites Familienpublikum anzusprechen.

»Nehmt mein Haar und haltet euch fest«, sagte Doja, die Fee der Roma-Gemeinschaft, »fürchtet euch nicht«. Dann zogen die Fee und ihre Leute tagelang fliegend aus, bis sie das Land erreichten, für das sie bestimmt waren (»Romaland«). Dieses Land war eine himmlische Insel voller gezähmter Tiere und mit fruchtbarem Boden, auf der die Gemeinschaft der Sinti und Roma nun endlich leben konnte. Wie andere Menschen konnten die Sinti und Roma hier Häuser bauen, hart arbeiten und gemäß dem Gesetz ein anständiges Leben führen.

Nach einer unerwarteten Katastrophe jedoch fühlten sich die Menschen auf dem Land nicht mehr sicher und vertrauten nicht mehr darauf, dass Doja sie verteidigen könne. Deshalb baten sie Doja darum, die Gemeinschaft, einschließlich ihrer gesamten Habe, weit weg zu bringen. Obwohl sich Doja der Folgen der Vertreibung voll bewusst war, erfüllte sie den Wunsch der Sinti und Roma und flog mit ihnen davon, während die Leute sich an ihren langen Haaren festhielten, was zu der Verbreitung der Sinti und Roma auf der ganzen Welt führte.

»Doja, the Gypsy Fairy« ist ein bemerkenswerter Film. Wir werden in eine mythische Welt hineingezogen, noch bevor das eigentliche Märchen sich entfaltet. Die tiefen und intensiven Farben, die Zeichnungen mit folkloristischen Motiven schaffen innerhalb von Sekunden eine diegetische Realität, und instinktiv wissen wir, wo wir sind: im Märchen, im Reich der Phantasie. Wie alle Volksmärchen beschäftigt sich auch in diesem Film metaphorisch mit wichtigen Themen, die tief im kollektiven Unbewußten und in der Historie verwurzelt sind.

Darüber hinaus trifft die für die Roma-Gemeinschaften so wichtige Tradition des Geschichtenerzählens in »Doja, the Gypsy Fairy« auf das zeitgenössischen Genre des Animationsfilms. Die Geschichten vermitteln Identität und Zugehörigkeit und festigen das Gruppenbewusstsein und den Zusammenhalt (Sampson 1964).

»Doja, the Gypsy Fairy« entstand im Animationsstudio Kecskeméti, in dem, über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren, die beliebte Serie »Ungarische Volksmärchen« für das Staatsfernsehen entstanden war.8 Die Serie basierte auf ethnografischen Forschungen und authentischer Volksmusik und verwendete folkloristische Ornamente im grafischen Stil (Orosz 2017).

Die Regisseurin Mária Horváth, die in sozialistischen Zeiten an der Produktion beteiligt war, initiierte die Serie »Gypsy Tales« (Ungarn, 2015), die zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit führte. Ihre Absicht war es, die traditionellen Geschichten der Sinti und Roma ins Mainstream-Fernsehen zu bringen, in der Hoffnung auf eine ähnlich erfolgreiche Rezeption wie im Falle der »Ungarischen Volksmärchen«.

  • Teréz Orsós | Film still from GYPSY TALES: DOJA | Filmstandbild | Ungarn | 2015 | fil_00677 Rights held by: Mária Horváth | Licensed by: Kecskemétfilm Ltd. | Licensed under: Rights of Use | Provided by: Kecskemétfilm Ltd. (Kecskemét/Hungary)
  • Teréz Orsós | Film still from GYPSY TALES: DOJA | Filmstandbild | Ungarn | 2015 | fil_00678 Rights held by: Mária Horváth | Licensed by: Kecskemétfilm Ltd. | Licensed under: Rights of Use | Provided by: Kecskemétfilm Ltd. (Kecskemét/Hungary)
  • Teréz Orsós | Film still from GYPSY TALES: DOJA | Filmstandbild | Ungarn | 2015 | fil_00679 Rights held by: Mária Horváth | Licensed by: Kecskemétfilm Ltd. | Licensed under: Rights of Use | Provided by: Kecskemétfilm Ltd. (Kecskemét/Hungary)
  • Teréz Orsós | Film still from GYPSY TALES: DOJA | Filmstandbild | Ungarn | 2015 | fil_00676 Rights held by: Mária Horváth | Licensed by: Kecskemétfilm Ltd. | Licensed under: Rights of Use | Provided by: Kecskemétfilm Ltd. (Kecskemét/Hungary)
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  • Teréz Orsós | Film still from GYPSY TALES: DOJA | Filmstandbild | Ungarn | 2015 | fil_00675 Rights held by: Mária Horváth | Licensed by: Kecskemétfilm Ltd. | Licensed under: Rights of Use | Provided by: Kecskemétfilm Ltd. (Kecskemét/Hungary)

Die Bildsprache der »Gypsy Tales« basiert auf eindrucksvollen, farbigen Gemälden des Roma-Malers Teréz Orsós, die maßgeblich zum Erfolg der preisgekrönten Animationsserie beitrugen.9 Darüber hinaus wurde die Kleidung der Charaktere von einer bekannten Roma-Designerin, Erika Varga, Gründerin des Romani Design Studios, entworfen. Die Musik stammt von Parno Graszt, einem Roma-Musikensemble in Ungarn. Die »Gypsy Tales« sind den kulturellen Traditionen der Sinti und Roma ebenso verbunden wie der zeitgenössischen Kunst als solcher.

Der Prolog von »Mire Bala Kale Hin« ist ein mit gemischten Techniken produzierter Film, unter Verwendung von Puppen und Animationselementen: Die Großmutter und ihre Enkelin sowie die Familie des Mädchens sind Puppen. Die Animationen, die die Reise der Sinti und Roma darstellen, sind einfache, stilisierte und metaphorische Zeichnungen, die über alten Karten animiert werden. Obwohl die Großmutter reale Ereignisse mit kurzen, fiktionalisierten Anekdoten mischt, kommt diese Geschichte der realen Herkunft der Sinti und Roma viel näher als »Doja the Gypsy Fairy«. Der Prolog unter dem Titel »Tales from the Endless Road« kann als historisches Geschichtenerzählen betrachtet werden, solange man akzeptiert, dass es keine historische Wahrheit ohne mythologische Ebene geben kann.

Ein weiterer Teil des »Mire Bala Kale Hin« ist »Song of the Gallows« (›Lied vom Galgen‹, Finnland, 2002). Auch dieser Animationsfilm basiert auf einem finnischen Märchen. Es erinnert an eine Zeit, in der die Sinti und Roma als Gemeinschaft brutal unterdrückt wurden – die Geschichte thematisiert ein Gesetz, das es finnischen Bäuerinnen und Bauern erlaubt, alle Sinti und Roma, denen sie begegnen, aufzuhängen. Die Puppenanimation zeigt den Kampf der Sinti und Roma gegen dieses Gesetz und wie sie es, aufgrund des Reichtums ihrer Kultur, und insbesondere ihrer magischen Musik, überwinden konnten. »Song of the Gallows« erzählt eine grimmige Geschichte weitab von Walt Disneys Eskapismus – wie es Volksmärchen im Allgemeinen tun. So befassen sich auch diese Bilder und Metaphern mit Wirklichkeit, Geschichte, sozialem Verhalten, Moral und anderen wesentlichen Wahrheiten. Beide Animationsfilme der Serie sind meisterhaft ausgearbeitete Puppenanimationen.

Katariina Lillqvist | Song of the Gallows | Fiction | Finnland | 2001 - 2003 | fil_00326 Rights held by: Katariina Lillqvist | Licensed by: Film Cooperative Camera Cagliostro | Licensed under: Rights of Use | Provided by: Film Cooperative Camera Cagliostro (Tampere/Finland)

Katariina Lillqvist perfektionierte ihren Beruf in den berühmten Jiří Trnka Studios in Prag. Diese Ausbildungsjahre bildeten die intellektuelle und technische Grundlage ihres zukünftigen Schaffens im Puppenanimationsfilm. Ihre Arbeiten, darunter die Serie »Mire Bala Kale Hin«, sind von mitteleuropäischem Puppenbau und Puppenanimation inspiriert, wo Puppentheater auf eine tief verwurzelte Tradition zurückblicken, seit der Zeit vor dem Regimewechsel hoch angesehen waren und es auch in der heutigen Gegenwart weiterhin sind.

Jiří Trnka war einer der bekanntesten Vertreter_innen der Puppenanimation in den 1950er und 60er Jahren in der Tschechoslowakei. Er popularisierte die Stop-Motion-Animationstechnik in der Region und darüber hinaus. Zusammengefasst zitieren Sadoul und Morris Trnka: »Puppentrickfilme sind wirklich unbegrenzt in ihren Möglichkeiten: Sie können sich mit größter Kraft ausdrücken, gerade wenn der realistische Ausdruck des kinematografischen Bildes wie so oft vor unüberwindbaren Hindernissen steht.« (1972, 255–56)

Die stilisierte Einfachheit von Gesichtern in der Animation sowie die Reduktion des Gesichtsausdrucks auf das strikte Minimum lassen den Betrachter_innen viel Raum für ihre eigene Projektion. In der Tat: Je einfacher ein Gesicht, desto mehr Menschen kann es repräsentieren – das eröffnet dem Animationsfilm ein nahezu grenzenloses Potenzial für Projektionen und Identifikationen.

Während im »Song of the Gallows« die Sinti und Roma Opfer sind, die aufgrund ihrer einzigartigen Qualitäten und Talente ihren sozialen Status überwinden, zeigt »Doja, the Gypsy Fairy« die Gemeinschaft der Sinti und Roma als autonom und selbstbestimmt – und damit für ihr eigenes Schicksal verantwortlich. Wie Eszter Lázár in ihrer Synopse schreibt, könnten »diese Geschichten durch eine symbolische Lektüre neu interpretiert und auf eine viel nähere Gegenwart bezogen werden. Trotz all dieser Hinweise auf die aktuelle Situation ist die Repräsentation einer Macht der Unabhängigkeit ihre Hauptintention.«

In den letzten zwanzig Jahren haben Animationsfilme erfolgreich begonnen, Themen der »realen Welt« zu erforschen. Durch Spielfilme wie »Persepolis« (Marjane Satrapi/Vincent Paronnaud, Frankreich/Iran, 2007) und »Waltz With Bashir« (Ari Folman, Israel/Deutschland/Frankreich, 2008) hat sich der Trickfilm nicht nur für die Reflexion des realen Lebens und der wahren Geschichten bewährt, sondern erreicht auch ein größeres Publikum mit höherer Akzeptanz.

Die Mittel einer Nachstellung, des Reenactments, entfalten sich besonders angemessen im Falle von partizipativen Projekten, die sich auf von Kindern gemachte Animationen konzentrieren und mit persönlichen Lebensgeschichten in Zusammenhang stehen. Diese Art von Gemeinschaftsprojekten werden durch den Prozess des kollaborativen Animierens Teil des kollektiven Gedächtnisses. Der Fokus liegt dabei nicht unbedingt auf der Qualität der Ästhetik der Stop-Motion-Animation, vielmehr ist der kreative Prozess, als eine Art der Arbeit mit kollektiven Erinnerungen, weit bedeutsamer. Bei dieser Form von Animation kehrt der performative Akt des Geschichtenerzählens zurück: Die Art, in der Erzähler_innen die Geschichte an die Zuschauer_innen weitergeben, klingt in den Gesten des Spiels mit animierten Figuren nach.

Dieserart erinnert sich zum Beispiel Laurel, die weibliche Erzählerin in »Gypsy Ways«, an Momente ihrer Kindheit bis heute. Laurel ist eine ältere Frau aus Shirenewton, einem Gebiet für Gypsies und Traveller in Cardiff, Wales, Großbritannien. Die Kinder aus der Community machen Zeichnungen ihrer Lebensgeschichte, stellen diese persönlichen Erzählungen nach und fertigen Stop-Motion-Animationen daraus.10 Laurels Geschichte basiert hauptsächlich auf Erzählungen von ihren weiblichen Verwandten, insbesondere ihrer Mutter, die von Frauenrollen in der Familie und ihrer Verantwortung innerhalb der Gemeinschaft der Sinti und Roma erzählen. Sogar die »Königin der Gypsies«, die an eine 100-jährige Dame aus Cardiff erinnert, erscheint im Kurzfilm als Zeichentrickfigur.

Die Ungarin Katalin Macskássy drehte 1976 einen kurzen animierten Dokumentarfilm mit einer ähnlichen Reenactment-Methode unter dem Titel »Nekem az élet teccik nagyon« (›Ich mag das Leben ganz gern‹, Ungarn, 1976). In diesem Dokumentarfilm erzählen Kinder aus einem kleinen Dorf in Südungarn Geschichten über ihre eigenen, schwierigen Lebensbedingungen. Es sind Geschichten über ihre Familien und über die Beziehung zwischen Sinti und Roma und Nicht-Sinti und Roma im Dorf. Die Kinder erzählen den Zuschauer_innen auch, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen.11

Der Animationsfilm kann überall hingehen, wohin eine Kamera nicht gehen kann – in die Vergangenheit, an geheime Orte, in den Kopf eines Menschen. Wie Anna Ida Orosz schreibt: »Das Besondere an dieser Filmtechnik ist, dass die Filmcrew, die Autor_innen und Illustrator_innen, die Protagonist_innen des Films sind. In den von den Kindern gemalten Bildern hören wir die manchmal surrealen wie komischen, aber vor allem herzzerreißenden Geschichten.« (Orosz 2017)

In den letzten Minuten des Films sehen wir die Kinder beim Zeichnen. Jedes der Kinder spricht einen einzelnen Satz, und ein junges Mädchen sagt: »Der beste und prägendste Moment in meinem Leben war die Arbeit an dieser Animation.« Wir wissen nicht, was mit dem Mädchen in der Zukunft passiert ist, aber höchstwahrscheinlich hat sie nicht weiter in der Filmindustrie gearbeitet. Im Gegensatz zu anderen Kindern war ihr Bekenntnis nicht traumatisch, sondern fröhlich. Sie spricht Animation nicht als Zukunftsaspiration an, sondern als ein Kapitel aus der Vergangenheit, das geschlossen werden soll. Vielleicht, weil sie weise die Realitäten eines Ungarns der 1970er Jahre vorhersah.

Fast 40 Jahre später scheinen die oben genannten kreativen Roma-Frauen die Träume dieses kleinen Mädchens verwirklicht zu haben. Sie spielten ihre Bewegungen nach, während sie die Freude der Kreativität teilten und sogar darüber hinausgegangen sind, indem sie die Charaktere auf die Filmleinwand gebracht und mit internationalen Erfolgen beehrt haben.

Fazit

Wenngleich die oben genannten Filme aus dem RomArchive verschiedene Ziele, Absichten und Produktionshintergründe haben, regen sie zu der Überlegung an, wie das konventionelle, eher stereotype Bild von märchenhaften, nicht-weißen Heldinnen herausgefordert werden könne. Sie tun dies mittels Narrativen von Roma-Frauen selbst, seien sie geschrieben oder mündlich erzählt. Diese Adaptionen bieten neue Einblicke in die Repräsentation weiblicher Charaktere. Sie ermöglichen es, Geschichten zu erzählen, und zwar als Form der Ermächtigung mit der je eigenen Stimme.

Diese Filme zeigen auch die enge Verbindung zwischen den Strategien »Zurücksprechen« und »Zurückfilmen«. Sie arbeiten mit den eigenen persönlichen Geschichten oder Erzählungen des kollektiven Gedächtnisses, insbesondere mit visuellen Elementen, die von Roma-Künstler_innen geschaffen wurden. Um einer eindimensionalen Sicht auf diese frauenzentrierten Märchen zu widerstehen, haben von Frauen verfasste Geschichten tatsächlich die Möglichkeit geschaffen, ein Gegenbild der Sintize und Romnja zu entwerfen. Darüber hinaus könnte sich diese Strategie als fruchtbar für die Dekonstruktion der klassischen Erzählungen erweisen und damit für Frauen zusätzlich attraktiv werden.

Animationsfilme sind als Familienunterhaltung zu betrachten, innerhalb derer die Kinder als wichtigstes und feinsinnigstes Publikum gelten. Nicht zuletzt sollten wir aber auch das Potenzial der Animationsfilme als Teil der zeitgenössischen Filmwelt anerkennen, die die verschiedenen Film- und Kunstsprachen in einzigartiger Weise vereint.

Rights held by: Eszter Lázár — Christian Gasser (text) — Michael Baute (translation) | Licensed by: Eszter Lázár — Christian Gasser (text) — Michael Baute (translation) | Licensed under: CC-BY-NC-ND 4.0 International | Provided by: RomArchive