»Der Flamenco, in diesem Fall der Tanz, ist eine Kunst, die einer im weitesten Sinne intellektuellen Vorbereitung bedarf. Die Einführung wie auch das Erlernen sind nur möglich mit dem Humanismus als Lebensphilosophie; nur so, auf dieser Grundlage, kann der Künstler etwas erschaffen.«

Unter dieser Prämisse bildete Mario Maya – Gitano, Choreograf und Tänzer – seine künstlerische Persönlichkeit aus, und in dieselbe Richtung zielte seine Lehrtätigkeit.

Mario Maya Fajardo kommt 1937 in Córdoba in Spanien auf die Welt. Seine Mutter Trinidad Maya zieht in die Stadt der Alhambra, Granada, um im Viertel Sacromonte zu arbeiten, wo sie in einer der Wohnhöhlen, die als Flamencolokale dienen, für Tourist_innen singt und tanzt. Hier wird der junge Mario in den Flamenco eingeführt, bis er durch einen glücklichen Zufall nach Madrid gelangt, wo er die Akademie von »El Estampío« besucht, um die Techniken des Flamencotanzes zu erlernen.

Auslöser für diesen Ortswechsel ist ein Ölporträt, das die englische Malerin Josette Jones von ihm macht und mit dem sie in London einen Wettbewerb gewinnt; das Preisgeld (200.000 Peseten) schickt sie Mario Maya für sein Tanzstudium in Madrid. Er ist gerade mal 16 Jahre alt und voller Träume, entdeckt das Madrider Flamencomilieu und zeigt dort seine Tanzkünste, bis er vom Tablao Zambra (Flamencolokal) engagiert wird. Und wieder greift das Schicksal ein, diesmal in Person der Choreografin und Tänzerin Pilar López, die ihn, angenehm überrascht von der Art des jungen Gitanos, in ihr Ballett aufnimmt. Sie wird zu seiner Lehrerin und wichtigsten Förderin.

So öffnet sich Mario Maya die Welt – und zwar nicht nur die Welt des Tanzes, sondern auch die Welt der Choreografie –, und er kommt, nicht minder wichtig, in Kontakt mit neuen musikalischen und tänzerischen Kulturen. Maya ist empfänglich für alles, was er bei seinen häufigen Tourneen durch verschiedene Länder kennenlernt. Er ist aufgeweckt, lernt schnell, studiert Choreografie und beginnt, die Kunst von einem humanistischen Konzept aus zu verstehen, das er als Philosophie für sein Leben wie für seinen Beruf übernimmt.

Nach einigen Jahren verlässt er die Kompanie und stürzt sich in das Abenteuer, selbst kreativ zu sein – zunächst gemeinsam mit »La Chunga«, mit der er durch ganz Amerika tourt, später dann mit der Frau, die er heiraten wird: Carmen Mora.

Er verspürt das immer stärkere Bedürfnis, als Choreograf weiterzukommen. Diese Gelegenheit ergibt sich, als die Agentur Columbia Artist Management ihm einen längeren Vertrag für eine Tournee durch die USA anbietet. Er lässt sich die Chance nicht entgehen und nutzt seinen ausgedehnten Aufenthalt in New York, um die avantgardistischen Strömungen in sich aufzunehmen.

Zurück in Spanien, persönlich und künstlerisch gereift, macht er sich allein auf den weiteren Weg und gründet eine eigene Kompanie. Die Suche nach neuen Formen und Formaten, mit denen er seine überquellende Kreativität ausdrücken kann, führt ihn zu dem grenadischen Schriftsteller und Dichter Juan de Loxa, mit dem er 1974 »Ceremonial« auf die Bühne bringt. Das sind die Fundamente für ein neues Konzept vom Theater und vom Flamenco.

Mario Maya will mit der Quelle in Kontakt bleiben, aus der er schöpft: mit dem Leben der Rom_nja, mit seinem im Ostteil von Granada gelegenen Viertel Sacromonte – und so eröffnet er dort ein Atelier namens »Zincalé«, das zu einem Treffpunkt für die damaligen Intellektuellen und Künstler_innen der Gitano-Gemeinschaft wird. Daraus geht das Bühnenstück »Camelamos naquerar« (»Wir wollen sprechen« auf Caló) hervor, basierend auf Texten von José Heredia Maya, Roma-Dichter. Es ist eins von Mayas Meisterwerken und gleichzeitig ein Wendepunkt in der Geschichte der Gemeinschaft der spanischen Rom_nja. Er setzt den ganzen expressiven Reichtum des Flamencos ein und verbindet ihn mit einer modernen szenischen Vision, um auf diese Weise, zum ersten Mal überhaupt, den Antiziganismus anzuprangern, wie er seit mehr als fünf Jahrhunderten geherrscht hat, manifestiert in einer ganzen Reihe von Gesetzen und Maßnahmen mit dem Ziel, die Gitanos zu verfolgen und auszulöschen. Dieses Werk markiert einen echten Einschnitt. Endlich beginnt die Gemeinschaft der spanischen Rom_nja, seine eigene Geschichte zu entdecken und zu erkennen, wer es ist und warum es in diese Situation geraten ist. Die Inszenierung wird zum internationalen Erfolg.

Mario Maya ist nun so kreativ wie nie. Sein nächstes Bühnenwerk, »¡Ay! Jondo«, ist ein einziges Bad im Flamenco Gitano. Er ist immer mehr davon überzeugt, dass »der Flamenco der reinste künstlerische Ausdruck des pueblo gitano ist«.

An diesem Punkt seiner Karriere ist die Anerkennung einhellig, sowohl vonseiten der Aficionados (Bewunderer) wie auch der Institutionen: Beim Wettbewerb Concurso Nacional de Arte Flamenco (Córdoba, 1977) erhält er gleich zwei Preise; hinzu kommen Auszeichnungen wie der »Premio de Baile«, verliehen vom Lehrstuhl für Flamencologie (Jerez de la Frontera, 1977), die »Medalla de Oro de Andalucía«, verliehen von der Regionalregierung Andalusiens (Sevilla, 1986), oder der »Premio Nacional de Danza«, verliehen vom Kulturministerium (Madrid, 1992).

Im Bereich Film arbeitet Mario Maya ebenfalls, mit Adaptionen seiner eigenen Inszenierungen (»Camelamos naquerar«, »¡Ay! Jondo« und »Amargo«), dazu mit Spielfilmen wie »Corre Gitano« oder »Flamenco«. Regie führen hier international renommierte Filmemacher: der Franzose Tony Gatlif, Sohn einer algerischen Romni, und der Spanier Carlos Saura.

Klug und freigebig widmet Mario Maya die letzten Jahre seines Lebens dem Unterricht. Er möchte seinen großen künstlerischen Schatz an spätere Generationen weitergeben. So gründet er 1983 in Sevilla das Centro de Actividades Mario Maya für Flamencotanz, klassischen Tanz und Jazz. Auf diese Weise schafft er eine Einrichtung für das Tanzstudium nach dem Konzept einer humanistischen Lehre, an die er immer geglaubt hat. In diesem Zentrum werden die Schüler_innen nicht nur in den Tanzdisziplinen ausgebildet, sondern es gehört auch ergänzendes Wissen mit zum Studium: Geschichte, Musik, Philosophie etc.

Der Flamencotänzer, Choreograf und Kulturmensch Mario Maya, Gitano durch und durch, was er war und wie er war, starb am 27. September 2008 in seinem Haus in Sevilla.