Voices of the victims

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Belgien

Monique Heddebaut

Seit 1839 registrierte die Fremdenpolizei alle Personen, die nach Belgien einreisten. Sie machte sich im Laufe der Jahre die Methoden aus Frankreich zunutze, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts allgemein Verbreitung fanden und eine erkennungsdienstliche Erfassung aller »Nomaden« (Gesetz von 1912) bereits erahnen ließen. 1933 führte die Fremdenpolizei einen Sonderausweis für Ausländer_innen ein, der zwei Jahre gültig war und verlängert werden konnte; die »Zigeuner« aber erhielten einen »Wanderausweis« (feuille de route) mit nur dreimonatiger Gültigkeit. Zu dieser Zeit lebten um die zwanzig Roma-Familien in Belgien, insgesamt etwa 200 Personen.

Zufluchtsort seit 1933, besetzt seit 1940

Aufgrund der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Deutschen Reich im Jahr 1933 flohen mehrere deutsche und niederländische Familien nach Belgien. Die militärische Besetzung von Belgien und Nordfrankreich im Mai 1940 zwang einige dazu, sich niederzulassen oder in die unbesetzte Zone zu fliehen. Das neu geschaffene Gebiet »Belgien und Nordfrankeich« unterstand einem deutschen Militärgouverneur, der seinen Sitz in Brüssel hatte. Im April 1941 untersagte die Militärverwaltung den Aufenthalt von »Rassezigeunern« (nomades de race) im Küstengebiet. Seit dem Januar 1942 mussten »Zigeuner«, »Fahrende«, Schausteller_innen und Nichtsesshafte ab dem 15. Lebensjahr eine »Zigeunerkarte« (Zigeuner kaart) mit sich führen.

Deportation nach Auschwitz

Die Deportation aller Sinti und Roma in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, wie sie der Reichsführer-SS Heinrich Himmler am 16. Dezember 1942 für das Deutsche Reich angeordnet hatte, wurde im März 1943 auch auf Belgien und Nordfrankreich ausgedehnt. Da die Deportation der jüdischen Bevölkerung zunächst Priorität hatte, erfolgte die Verhaftung der »Zigeuner« erst zwischen Oktober und Dezember 1943. Die Festgenommenen durchliefen zunächst Gefängnisse in der Nähe ihrer Wohnorte, um dann in das Sammellager von Malines (Mechelen) in der Kaserne Dossin, gelegen zwischen Antwerpen und Brüssel, überführt zu werden. Insgesamt wurden 25.484 Juden und 351 Sinti und Roma aus dem im August 1942 errichteten Lager deportiert.

Der »Z-Transport«

Von den 351 festgenommenen Menschen, die am 15. Januar 1944 in einem gesonderten Zug (genannt »Z-Transport«) nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurden, waren 160 jünger als 15 Jahre. Unter ihnen befanden sich Sinti, Roma, Schausteller_innen, Zirkusleute sowie Wandergewerbetreibende, die als »asozial« etikettiert worden waren. 145 von ihnen stammten aus Frankreich, 109 aus Belgien, 18 aus den Niederlanden und eine Person aus Spanien. 14 waren aus dem Reich geflohen, 20 war die Rückkehr nach Norwegen verweigert worden und 30 galten als staatenlos. Zu erwähnen sind außerdem neun Männer, die in der Nähe von Antwerpen im November 1943 verhaftet und direkt nach Birkenau deportiert worden sind, sowie Steven Karoli, der während der Razzia im Herbst 1943 fliehen konnte, jedoch am 2. März 1944 in Brüssel verhaftet und schließlich über Mechelen ebenfalls nach Auschwitz deportiert wurde.

Nur wenige überlebten

Die Hälfte der Deportierten starb innerhalb von sechs Monaten nach ihrer Ankunft im »Zigeunerfamilienlager«, einem separaten Abschnitt in Birkenau. Etwa 110 Menschen aus dem »Z-Transport« wurden in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 im Zuge der »Liquidation« des »Familienlagers« ermordet. 68 Männer und Frauen waren bis dahin als arbeitsfähig eingestuft und in die Konzentrationslager Buchenwald und Ravensbrück überstellt worden. Nur 20 Männer und 13 Frauen, also 33 Personen von 361 Deportierten, haben überlebt.

Nach der Befreiung kehrten die wenigen Überleben in ihre Heimatorte zurück. Je nach Geburtsort und Nationalität gingen sie nach Belgien oder Frankreich, um eine Anerkennung als Deportierte zu erhalten. Eine Entschädigung für das ihnen geraubte Vermögen ist nicht bekannt.

Anerkennung nach 70 Jahren

Die Inhaftierung der Sinti und Roma im »Familienlager« und die entsetzlichen Bedingungen dort wurden im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg (1945/46) zwar erwähnt, allerdings nur aufgrund von Zeugnissen von Nicht-Roma. Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, dass Rosa Keck am 20. Januar 1946 im Rahmen des Kriegsverbrecherprozesses vor dem Tribunal in Hasselt (Limburg, Belgien) zur Deportation ihrer Familie – insgesamt 21 Personen – angehört wurde.

Das Schweigen über den Völkermord hielt bis 1976 an, als der Historiker José Gotovitch eine erste Studie veröffentlichte. Am 24. Januar 2013 hat der belgische Senat – das Oberhaus des Föderalen Parlamentes − die Verantwortung belgischer Institutionen bei der Verfolgung der Juden in Belgien und folglich auch der Sinti und Roma anerkannt.

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