Sinti und Roma in der Kunstgeschichte

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Anna Lujza Szász

Die Roma in der bildenden Kunst beim Namen nennen

Einleitung

Meine Forschung zielt darauf ab, den Roma-Motiven in der Kunst Namen zu geben1 ihre Bedeutung wiederzugewinnen, ihnen Leben einzuhauchen und ihr Handeln zu rekonstruieren. Sie will herausfinden, wer die Modelle waren, ihren Lebensgeschichten nachgehen und ihnen zu einem Platz in der Geschichte verhelfen – nicht nur als empirische »Objekte«, sondern auch als »Subjekte«, die in Machtverhältnissen stehen und einzigartig sind, die Handlungsfähigkeit, historisches Bewusstsein und Eigenständigkeit verkörpern.

Mein Schwerpunkt liegt auf Szolnok und den dort angefertigten Kunstwerken im ausgehenden 19. Jahrhundert sowie der Arbeit der dortigen Künstlerkolonie um 1930. Ich möchte die Welt der Kolonie nicht nur durch Analyse und kritische Betrachtung ihrer Gemälde erkunden, sondern ihre Geschichte auch anhand der Erfahrungen der Roma erzählen.

Beim Blick auf die Roma-Darstellungen möchte ich eine kritische Perspektive entwickeln. Ich widme mich den Bildinhalten, der Intention beim Bildaufbau, den Arten, wie die Subjekte abgebildet werden, und weiteren Details. Meine These ist, dass nur die Offenlegung der ästhetischen Struktur von Bildern eine ethisch und politisch fundierte Resonanz ermöglicht.

Über Szolnok und seine Roma-Bevölkerung

Szolnok liegt in Ost-Ungarn. Die erste Roma-Siedlung der Stadt wurde CigányvárosZigeunerstadt«) genannt und erstreckte sich rings um den Wasserturm in Richtung der Stadt Eger. Erbaut wurde sie vermutlich im 18. Jahrhundert am damaligen Rand Szolnoks. Mit dem späteren Wachstum der Stadt weitete sich ihr Zentrum auch über Cigányváros aus, und ein Großteil der Roma-Bevölkerung verstreute sich über die Innenstadt, wobei sie sich im Markt- und Rotlichtviertel Tabán konzentrierte. Zwischen den beiden Weltkriegen entstand ein neues Armenviertel, Kisgyep genannt, in dem hauptsächlich Roma wohnten. Vom alten Cigányváros ist heute nichts mehr übrig. Tabán und die Gegend um den Marktplatz sind modernisiert worden. Kisgyep und einige weitere kleine Siedlungen an den Stadträndern existieren nach wie vor.2

Die Künstlerkolonie liegt am Zusammenfluss von Zagyva und Theiß und wurde über den Ruinen des dortigen Schlosses errichtet. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts spielte Szolnok eine wichtige Rolle für das künstlerische Leben Ungarns. Seine Entdeckung verdankt es dem österreichischen Maler August von Pettenkofen, der während der Revolution von 1848/49 als Kriegsmaler des österreichischen Heeres in Ungarn war. Zwischen 1851 und 1881 verbrachte Pettenkofen fast jedes Jahr ein bis zwei Monate in Szolnok. Dort fand er neue Themen für seine Bilder, vor allem bei der Roma-Gemeinde. Besonders gerne malte er die Wochenmärkte, die Obst- und Gemüsehändler_innen, die Keramikverkäufer_innen, die bäuerlichen Fuhrwerke und die Puszta. Sein spezieller Stil und der orientalistische Zeitgeschmack verhalfen seinem Werk zu großer Anerkennung.

Pettenkofens Ruhm und Einfluss lockten zahlreiche weitere Maler in die Stadt, sowohl Österreicher (darunter Johann Gualbert Raffalt, Leopold Carl Müller und Otto von Thoren) als auch Ungarn (etwa Lajos Deák Ébner, Gyula Aggházy und Pál Böhm). 1901 wurde ein künstlerischer Verein in Szolnok gegründet, um Atelierhäuser zu bauen und das Leben der Kolonie zu organisieren. Als sein Anliegen formulierte der Verein:

»Den Geschmack der Allgemeinheit zu bilden, indem Kunst und Kunstgewerbe verbunden und Kennerschaft und Kunstfertigkeit in die nationale Kultur eingebracht werden.«

1902 wurden die zwölf Ateliers feierlich eröffnet. Der Erste Weltkrieg brachte das Kolonieleben weitgehend zum Erliegen, doch in der Zwischenkriegszeit wurde die Arbeit fortgesetzt, wenn auch unter schwierigen Bedingungen. Im Zweiten Weltkrieg wurden Szolnok und auch die Kolonie zerstört, mehr als 4.000 Bilder wurden vernichtet. Der Wiederaufbau nach dem Krieg begann schleppend, und auch wenn einige Künstler_innen sich wieder in Szolnok niederließen, hat sich die Kolonie nicht vollständig von ihrem Trauma erholt, geschweige denn ihre frühere Kraft und Ausstrahlung zurückgewonnen.3

In den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten hat die Stadt einen kulturellen und wirtschaftlichen Boom erlebt. Ihre Topografie hat sich gewandelt, neue, bunte Häuser wurden gebaut, doch zugleich konnten die Viertel Tabán (am Ufer der Zagyva) und das sogenannte Cigányváros ihre Schönheit und ihren eigenen Charakter wahren.

Diese Stadtteile waren von engen Gassen und winzigen, einstöckigen Häusern geprägt.

»Es war ein Stück Osten, ein Marrakesch oder Ägypten gleich nebenan, es trug in sich das Nomadenleben und das Chaos der Puszta für jene Wiener Künstler, die der Genremalerei überdrüssig waren.«4

Eine Zugverbindung zwischen Pest und Szolnok wurde 1847 eröffnet, doch erst ab 1855 konnte man auch von Wien aus per Bahn nach Szolnok reisen. Der Fluss Theiß (Tisza) war noch nicht begradigt und spielte als Transportweg eine wichtige Rolle. In Szolnok wurden Getreide und Obst für ganz Ungarn per Schiff angeliefert und dann per Zug nach Pest weitertransportiert. Auch für ihren Marktplatz war die Stadt bekannt.5

»Schwarze Körper«

In Übereinstimmung mit Éva Kovács6 vertrete ich grundsätzlich die Ansicht, dass die Haltung der Kolonie gegenüber den Roma hierarchisch war. Die »Kolonist_innen« sahen ihre Neugier und ihre Begeisterung für farbenprächtige Szenerien in einem imaginären Osten befriedigt.

Wildheit, Kriminalität, Schmutz, von der Norm abweichendes Verhalten galten damals als primäre Merkmale der Roma, und diese Bilder prägen noch im heutigen Ungarn die Art, wie Roma in Beziehung zu Nicht-Roma wahrgenommen und dargestellt werden.

Sander L. Gilman hinterfragt die Repräsentation von Blackness in der Ikonografie weiblicher Sexualität in der Kunst, Medizin und Literatur des späten 19. Jahrhunderts. Er behandelt Symbolbilder als Manifestationen von Wirklichkeit, als weithin bekannte und verinnerlichte Kodierungen. Kunst, Medizin und Literatur fasst er als pädagogische, performative und diskursive Felder auf, die zur sozialen Konstruktion »weißer« und »schwarzer« Körper beitragen.

Dies tut er, indem er Werke wie Edouard Monets »Olympia« (1867) und »Nana« (1877) oder William Hogarths »A Harlot’s Progress« (1731) analysiert und somit einen besonderen Schwerpunkt auf die Kunst legt – als ein Repräsentationssystem, das Bedeutungen erzeugt und unsere Auffassungen von der Welt festhält. Der Autor argumentiert, dass in der westlichen Kunstgeschichte der schwarze weibliche Körper gleichermaßen zum sexualisierten Anderen in der Kultur geworden sei wie zum Sinnbild verbotener Sexualität. Er schreibt:

»Schwarze Frauen repräsentieren nicht bloß das sexualisierte Weibliche, sondern zugleich das Weibliche als Quelle des Verderbens und der Krankheit.«

Der öffentliche Diskurs über die Prostitution, und damit ihre Pathologisierung, wurde der Konzeption des schwarzen weiblichen Körpers hinzugefügt – er wurde nach und nach mit den innerlichen und äußerlichen Charakteristika der Prostituierten versehen; die Prostituierte wurde zur Essenz der schwarzen Weiblichkeit.

Im weiteren Verlauf seiner Argumentation taucht Gilman in die medizinische Forschung ein und zeichnet nach, wie der Körper der Prostituierten zum Synonym des schwarzen weiblichen Körpers wurde. Die Gestalt der »Hottentottin« wurde zum Inbegriff der behaupteten schwarten Minderwertigkeit:

»Das Primitive ist das Schwarze, und die Eigenschaften der Blackness oder zumindest der schwarzen Frau sind die der Prostituierten. Die Arbeit eines Studenten Lombrosos, Abele de Blasio, macht dies auf groteske Weise deutlich: Er publizierte eine Reihe von Fallstudien zur Steatopygie bei Prostituierten, in denen er die Prostituierte geradezu buchstäblich mit der Hottentottin gleichsetzt – ein Sinnbild, das die Differenz zwischen dem Europäischen und dem Schwarzen verkörpert. So verschmolz im späten 19. Jahrhundert das Bild der Prostituierten mit dem Bild der Schwarzen. Beides sind Kategorien von Außenseiterinnen, doch was impliziert diese Verschmelzung hinsichtlich der Wahrnehmung beider Gruppen? Es ist ein Gemeinplatz, dass das Primitive mit ungezügelter Sexualität assoziiert wurde.«

Sander L. Gilman

Gilman schließt mit der Beobachtung, dass durch die Pathologisierung des schwarzen weiblichen Körpers, etwa der Geschlechtsorgane und des Gesäßes, schwarze Körper nicht nur sexualisiert, sondern auch für krank und von der Norm abweichend erklärt wurden.

Die Analyse der Herkunft ethnisierten Wissens und der Arten, wie es Identitäten strukturiert, lässt das gesellschaftliche Bedürfnis hervortreten, dem diese Zuordnungen dienen: die Erzeugung einer Gruppe »als festgelegte Wirklichkeit, die ein ›Anderes‹ ist, aber zugleich komplett sichtbar und fassbar«.

Anstelle der »Schwarzen« sind in den osteuropäischen Gesellschaften die »Zigeuner« das stereotypisch ethnisierte und erotisierte »Andere« geworden: »schmutzig«, »unzivilisiert«, »kriminell«, »arm« oder »gesetzlos«– all das, was die Mehrheit nicht ist oder nicht sein möchte.

Wie der ungarische Komponist Franz Liszt schreibt:

»In unseren Augen scheinen diese Menschen ein gleichsam tierisches Leben zu führen. [...] Eine Rasse, die weder Religion noch Gesetz hat, keinem bestimmten Glauben anhängt und keinen festen Regeln folgt; zusammengehalten bloß von grobem Aberglauben, vager Sitte, ständiger Not und tiefer Erniedrigung; und doch trotz aller Demütigungen und Entbehrungen hartnäckig darauf beharrend, bei ihren Zelten und Lumpen zu bleiben, ihrem Hunger und ihrer Freiheit. Ein Volk, das auf zivilisierte Nationen eine Faszination ausübt, die ebenso schwer zu beschreiben wie zu zerstören ist; wie ein geheimnisvolles Erbteil besteht es von Zeitalter zu Zeitalter fort; und trotz seines üblen Leumunds zieht es unsere größten Dichter an mit der Kraft und dem Zauber seiner Typen.«

Ferenc Liszt

Zu Liszts Zeit waren die Musiker_innen die typischen Figuren in der Roma-Ikonografie. Für ihr Spiel wurden sie verehrt, und dargestellt wurden sie mit Würde, ebenso wie Nicht-Roma, aus Respekt vor ihrem Talent. Das Antonym zu diesem Bild – die andere Seite der Medaille – sind die wilden, unbezähmbaren, freiheitsliebenden Nomad_innen. Daran waren vor allem Fotograf_innen interessiert, denn sie betrachteten die Roma als Träger_innen einer archaischen Kultur. Eine andere Lesart dieser Zuschreibungen ist, dass die Roma für die »Andersheit unseres Selbstseins« standen, als Bild einer internalisierten Substanz, die in allen Ungar_innen angesprochen werden konnte.

Die Assoziation der Roma mit menschlichen Instinkten, mit Wildheit, Individualismus, Unbeherrschtheit, mit Verschwendung und Rohheit ist ein entscheidender Faktor, um sowohl die Figur der Roma im Denken als auch die verborgenen Triebkräfte des ungarischen »Selbst« zu verstehen. Wurden um die Wende zum 20. Jahrhundert die Roma noch als exotische Fremde dargestellt, so wandelte sich der Mehrheitsblick etwa ein Jahrzehnt später und begann, sie als sexualisierte, unzulässige Körper wahrzunehmen. Ähnlich wie im Fall der »schwarzen Körper« wurden alle Wünsche und Ängste der »Weißen« auf den »Zigeunerkörper« projiziert.

Der Grund war, dass Ungarn ein Teil des »Orients« wurde: Die Märkte und die Puszta kamen bei westeuropäischen Maler_innen groß in Mode, und im Mittelpunkt ihrer Werke stand der Zauber des nomadischen »Zigeunerlebens«. Neben Wildheit und Exotismus fungierten Schmutz und Devianz als primäre Merkmale der Roma.7

Das Archivproblem

Wie zu Beginn erwähnt: Ich halte es für einen sinnvollen Forschungsansatz, zu ermitteln, wer die Modelle waren, die jahrzehntelang den Maler_innen der Künstlerkolonie in Szolnok Modell standen; ihre Lebensgeschichten zu erkunden und ihnen einen Platz in der Geschichte zu verschaffen, nicht bloß als empirische »Gegenstände« von Kunst, sondern auch als »Subjekte«, die in Machtverhältnissen stehen und einzigartig sind, die Handlungsfähigkeit, historisches Bewusstsein und Eigenständigkeit verkörpern.

Diese Aufgabe ist nicht einfach. Ähnlich, wie ich in Archiven des Holocaust auf das Problem stieß, dass »uns Zeugnisse über die Erfahrungen der Roma im Holocaust oft durch eine jüdische Linse gebrochen erreichen« und »die Suche nach dem Begriff ›Zigeuner‹ oder Äquivalenten in den Verzeichnissen der Holocaust-Archive [...] unweigerlich vor allem jüdische Zeugnisse zutage bringt«8, wird in den meisten Quellen meiner Forschungen zu Szolnok aus der Perspektive der gesellschaftlichen Mehrheit über die Roma berichtet:

Die Quellen sind eingebettet in die Narrative der Mehrheit und von ihnen geprägt.

Lassen Sie mich einige meiner Quellen nennen: 1. lokale Presseberichte über Einbrüche, Schlägereien, Gerichtsverfahren; 2. Wählerverzeichnisse aus den 1930er und 40er Jahren, aus denen sich Familiennamen und Adressen entnehmen lassen; 3. Gemeinde- und Gerichtsdokumente, Prozessakten; 4. Dokumente über hygienische Zustände. (Leider wurde das Archiv der Künstlerkolonie in den 1940er Jahren durch einen Brand zerstört, daher stehen Privatbriefe und Ähnliches für die Forschung nicht zur Verfügung.)

Der Name des Modells ist György Nana

Einer der Abgebildeten hat einen Namen: György Nana. Er stand oft für August von Pettenkofen und Sándor Bihari Modell und trug für Pettenkofen auch die Ausrüstung.9

Pettenkofen, der als Lithograf begann, diente während der Revolution von 1848/49 als österreichischer Soldat, tauschte aber die Waffe bald gegen den Pinsel aus und begann, Illustrationen zu den Schlachten anzufertigen. Weil sein Vater aus Ungarn stammte, oder auch durch seine Freundschaft mit Georg Plach, fühlte sich Pettenkofen von Ungarn angezogen. Von 1855 bis zu seinem Tod 1889 verbrachte er die Sommer in Szolnok. Sein erster Besuch in diesem Teil des Landes war im Jahr 1851, wie einige seiner Zeichnungen des Flusses Theiß bezeugen.

In Szolnok interessierte er sich für drei Themen: das bunte Treiben der Menge auf dem Marktplatz, wo sich die Kneipe Fehérlófia und das Café Magyar Király Szálló befanden; die »Zigeuner« und das einfache bäuerliche Leben. An den »Zigeunern« reizten ihn ihre ethnische Andersheit, ihr Erscheinungsbild, ihre Bräuche und ihre eigentümliche Lebensweise.

»Der Zigeuner ist der Beduine der Großen Ebene. Auch wenn sie nichts besitzen – so arm wie der Derwisch in der Wüste, haben sie doch ein hohles Zelt, eine Hütte ähnlich einem Erdhörnchenloch, ein oder zwei Felle, viele Kinder, und sie lieben und genießen das Leben [...].«10

Zu seiner Arbeitsweise: Er fertigte in Szolnok Hunderte von Skizzen an und arbeitete dann, zurück in Wien, einige davon zu Gemälden aus.11

Sándor Bihari war über 30 Jahre jünger als Pettenkofen und entstammte der Arbeiterklasse. Seine Eltern waren bettelarm gewesen, er hatte eine schwere Kindheit gehabt. Als Künstler entdeckt und von einem Gönner zum Studieren nach Paris geschickt wurde er erst mit Mitte zwanzig. 1885 zog er nach Szolnok und zählte später zu den Gründern der Künstlerkolonie.12

Pettenkofens Bild »Der Fechter« (1885) zeigt einen Mann in Hemd und Hosen. Er scheint sich in einem Kampf zu befinden, seine Fäuste sind geballt, vielleicht zwischen zwei Schlägen. Sein Hemd ist offen, möglicherweise hat sein Gegner es ihm zerrissen. Er wirkt müde, aber zugleich wild und konzentriert. Vielleicht muss er sich schützen. Der Rest ist der Phantasie der Betrachter_innen überlassen: was der Grund für den Kampf ist, wer der Gegner sein mag, wie der Kampf ausgehen wird.

Biharis Gemälde »Vor dem Richter« (1886) erzählt eine ganze Geschichte: Wir sehen Roma-Musiker_innen, die vor den örtlichen Richter gebracht worden sind. Die Hierarchie zwischen Roma und Nicht-Roma springt sofort ins Auge, sowohl von ihrem Erscheinungsbild her als auch anhand ihrer Haltung und Gesten. Sie scheinen eine Schlägerei hinter sich zu haben: Eine ihrer Geigen ist zerbrochen, und aus der Manteltasche eines der Roma hängt ein blutiges Tuch. Sie erwecken den Anschein sich zu beschweren – als seien die Schläge unverdient gewesen, eher eine Attacke als eine berechtigte Auseinandersetzung.13

Sehen Sie einen Unterschied in der Darstellung des Kämpfers und des Musikers? Wie gehen Sie diesen Unterschied an? Meiner Ansicht nach sind beide einem mächtigen Anderen ausgesetzt und müssen kämpfen. Dabei sehe ich in Biharis Bild eine größere Würde. Bei ihm liegt der Schwerpunkt weniger auf den jemandem zugeschriebenen Eigenschaften als auf der Sprache, also einer Fertigkeit, die erlernt und ausgeübt werden muss, damit jemand sich behaupten kann. In diesem Gemälde spricht der Subalterne.

Das Leben der Kolonie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Das Leben der Künstlerkolonie kam im Ersten Weltkrieg abrupt zum Erliegen. Die Mehrzahl der Maler wurde zum Militär eingezogen, und ihre hinterbliebenen Angehörigen mussten die Kolonie räumen, da dort ein Feldlazarett eingerichtet wurde.

Nach dem Krieg kehrte das Leben nur langsam in die Kolonie zurück. Erst 1927 wurde wieder eine öffentliche Ausstellung präsentiert, und eine neue Ära begann, verbunden mit Namen wie Vilmos Aba-Novák, Tibor Pólya, Pál Pátzay, Eszter Hollósné Mattioni, Adolf Fényes oder Ferenc Chiovini. Im Folgenden werde ich anhand historischer Dokumente auf die Zeit der 1930er Jahre eingehen. So wie in ganz Europa war diese Phase auch in Ungarn von der Radikalisierung verschiedener Bevölkerungsgruppen geprägt. Und während es mein Forschungsschwerpunkt bleibt, der Roma-Bevölkerung von Szolnok ihre Namen zurückzugeben, muss ich hier auf den Wandel der »Zigeunerfrage« zum »Zigeunerproblem« eingehen.

Bei der Sichtung von Archivmaterialien, um zu ermitteln, was in den 1930ern mit den Roma in Szolnok geschah, stieß ich tatsächlich auf Namen. Und so wie das Modell György Nana in den frühen 20er Jahren vielfach gemalt wurde, inspirierten in den 30ern diese Roma die Künstler_innen:

János Nagyhajú, Lajosné Nagyhajú, László né Fazekas, Samu Rostás, Mária Pege, János Rozsár, Gábor Frigor, Pálné Rozsár, Józsefné Kadet, Róza Rozsár, Zsigmondné Rozsár, Lajos Horváth, István Nagyhajú, Béla Varga, Gáborné Horváth, Istvánné Nagyhajú, Sándorné Sántha, Lajos Frigul, Sándor Spiru, Mihályné Horváth, Piros Bagi, Lajos Szabó, Gusztáv Kóré, Rózsi G. Nagy, János Raffael, Menyhért Kállai, Sándor Horváth, Miklós Raffael, László Kiss, Péter Barna, Sándor Farkas, Lajosné Károlyi, István Kovács, Györgyné Balog, László Mondok, Sándor Kökény, Ferenc Göncző.

Mein Text möge ihnen ein kleines Denkmal setzen. Bei den folgenden Ausführungen stütze ich mich auf meine Archivrecherchen und versuche die Roma in Szolnok anhand der archivierten Papiere vorzustellen. Diese Dokumente stammen aus einer Zeit, die von rassistischen Ideologien dominiert war. Daher kann ein Narrativ – um mit den Namen und den Menschen vertraut zu werden – nur durch kritische Betrachtung entfaltet und von der Gewalt befreit werden, aus der es hervorgeht.

Die Verfolgung der Roma durch die Nationalsozialisten spielte sich »dezentral« und »asynchron« ab. Das heißt, es herrschte zwar Einigkeit darüber, die Roma als Feinde des Regimes zu betrachten und rassistische Denkweisen mit gegen die Roma gerichteten Bestimmungen zu koppeln. Doch eine zentrale Befehlsgewalt und eine abgestimmte Umsetzung der Verfolgung bestanden nicht. Slawomir Kapralski schreibt:

»Die Verfolgung der Roma durch die Nationalsozialisten lässt sich weder als eine einheitliche Umsetzung der zentral gefassten mörderischen Absicht noch als ein Nebeneffekt der Beziehungen zwischen verschiedenen Sektoren des nationalsozialistischen Machtapparats begreifen, sondern als ein vielschichtiges Phänomen, das nicht von einem einzelnen Mechanismus bestimmt war.«14

Slawomir Kapralski

Dass es keine einheitliche Linie gab, hieß, dass Maßnahmen gegen Roma auf verschiedenen behördlichen Ebenen beschlossen und umgesetzt werden konnten. Dabei schienen die östlichen Verbündeten der Nationalsozialisten besonders eifrig auf »Liquidierung« und »Vernichtung« bedacht und konnten ihre Werkzeuge frei wählen.

Die Art und Intensität der Verbrechen waren das Resultat des Zusammenwirkens von lokalen Beziehungen, Ideologien, Netzwerken, Interessen. Dass es keine Synchronität oder festen Regeln gab, bedeutete nicht nur verschiedene Formen der Verfolgung, sondern auch eine sich ständig ändernde Anti-Roma-Politik, die sich im Lauf der Zeit gegen unterschiedliche Gruppen richtete.

Eine weitere Schwierigkeit bei der Identifizierung von Roma, die den Verbrechen des Nationalsozialismus zum Opfer fielen, liegt in der euphemistischen Sprache, mit der die Täter_innen Gewalt verschleierten.

Im Frühjahr 1936 wurde die »Rassenhygienische und bevölkerungsbiologische Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamts« unter der Leitung von Robert Ritter eröffnet, um

»mit exakter Methodik die Ursachen gesellschaftlicher Entwicklungen in der Biologie, d.h. letztlich in der Vererbungslehre offenzulegen, um die Auslöschung der Nicht-Integrierten und Unproduktiven zu legitimieren«.15

Auch wenn das rassistische Motiv bei den Verfolgungen klar war, dienten Worte wie »arbeitsscheu«, »Zigeunerbedrohnung«, »Zigeunerfrage« oder »asozial« dazu, das eigentliche Programm zu bemänteln.

Die Verbrechen gegen Roma in Ungarn fügen sich in die oben beschriebene Dualität ein. Die Umwandlung der cigánykérdés (Zigeunerfrage) zu einem cigányprobléma (Zigeunerproblem) vollzog sich als Weg von der Marginalisierung und Ausbeutung hin zur institutionellen Verfolgung und aufgezwungenen Kategorisierung parallel zur Entwicklung in Deutschland.

Am 2. Oktober 1912 kündigte Gábor Tóth, Stadtrat im ostungarischen Tiszaföldvár, folgenden Antrag an:

»Die ehrenwerte Generalversammlung wird an die Regierung des Königreichs Ungarn appellieren, die ›Zigeunerfrage‹ landesweit zu lösen. Ein Gesetzentwurf wird eingebracht werden, um zu verhindern, dass die Flut der Zigeunerwagen unser Land ausplündert.«16

Kategorien, die zuvor bereits abgeschafft worden waren, gelangten durch legislative Maßnahmen und Gerichtsurteile zunehmend zurück in die politische Sphäre. In Ungarn legte Artikel Nr. XXI/1913 über »Landstreicher als öffentliche Bedrohung« fest, dass »reisende Roma und andere Individuen«, die sich strafbarer Handlungen schuldig gemacht haben, zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden konnten.17

Zwar hatten die Roma seit jeher ein administratives Problem für den Staat bedeutet.18 Doch dieser Artikel schuf den ersten rechtlichen Rahmen, um reisende Roma und andere Individuen in Arbeitshäusern zu internieren, wenn sie nicht sesshaft wurden und sich den Regeln der Mehrheit in Sachen Hygiene und Reinheit unterwarfen.

Das nordungarische Komitat (Verwaltungsbezirk) Esztergom zählte zu den ersten, die den Roma Restriktionen auferlegten – und seinen Maßnahmen und Vorschlägen, publiziert am 30. August 1912, folgten die anderen Teile des Landes.

1913 setzte sich die Komitatsverwaltung Jász-Nagykun-Szolnok in einer Verlautbarung für den Aufruf aus Esztergom ein, die »Zigeunerfrage« landesweit zu regeln.19 In der Verlautbarung hieß es, diese »Frage«, die sich zu einer »Seeschlange« auswachse, sei gemäß der folgenden Anweisungen anzugehen: 1. Die Population von Roma solle binnen drei Jahren vollständig registriert werden, einschließlich Fingerabdrücken. 2. Jene »Zigeuner«, die sich überhaupt nicht ausweisen können, die als Bedrohung für jemandes Eigentum oder für die öffentliche Sicherheit gelten oder außerstande scheinen, eine Familie zu ernähren, sollten außer Landes verwiesen werden. Keine vagabundierenden »Zigeuner« sollten das Land betreten dürfen. Der Verlautbarung folgten ähnliche Aufrufe, zum Beispiel aus den Komitaten Szabolcs und Lipót.

1916 kam es zu ersten ungarnweiten Polizeirazzien gegen Roma. 1922 tat die Komitatsverwaltung von Heves ihre Unterstützung für den Aufruf zu einer einheitlichen Regelung der »Zigeunerfrage« kund20 und nannte sieben Schritte, die sie dabei für nötig hielt:

  1. Auflistung von »Zigeuner« in sämtlichen Polizeidistrikten, Verbot ihrer Bewegungsfreiheit und Rückführung an ihre registrierten Wohnorte.
  2. Registrierung ihrer Pferde und anderen Transportmittel.
  3. Ausgabe von »Zigeuner«-Personalausweisen, die neben den persönlichen Daten auch die Fingerabdrücke enthalten; gültig sind diese Ausweise nur innerhalb des Komitats Heves.
  4. »Zigeuner«-Fuhrwerke werden von den örtlichen Behörden verwahrt.
  5. Eine Genehmigung der örtlichen Behörden ist erforderlich, wenn »Zigeuner« ihren registrierten Wohnort verlassen wollen.
  6. In einem solchen Fall können Ausnahmen gemacht werden, wenn jemand als vertrauenswürdig gilt, eine feste Arbeit hat oder regelmäßig zur Arbeit geht. Die Leitung der örtlichen Behörde wird zur Verantwortung gezogen, wenn die betreffenden Personen auf ihrer Wanderschaft Straftaten verüben.
  7. Wer sich nicht ausweisen kann, wird den Behörden übergeben.

Am Ende der Verlautbarung wird die Wirksamkeit dieser Maßnahmen betont: Seit die Bewegungen vagabundierender »Zigeuner« eingeschränkt und überwacht seien, hätten sich Volksgesundheit und öffentliche Sicherheit deutlich verbessert.

Um in der »Zigeunerfrage« einen vollständigen Erfolg zu erzielen, sollten derartige Regelungen daher im ganzen Land eingeführt werden. Wenige Jahre später, 1928, wurden parallel zur deutschen Gesetzgebung21 Polizeirazzien gegen Roma rechtlich verankert. Fortan konnten lokale Behörden mit dem Segen des Gesetzgebers den Roma das Leben schwer machen.

Die Razzien wurden als notwendige Präventivmaßnahme gegen eine angeblich und unterschiedslos für die Gesellschaft bedrohliche Gruppe dargestellt. Dies kam einer erweiterten Definition der »reisenden Roma« gleich: Nun waren sie nicht mehr bloß die, die keine offizielle Bescheinigung über ihren Wohnort vorweisen konnten, sondern auch die, die als Landstreicher_innen und arbeitsscheu galten – Beschäftigungslose und Saisonarbeiter_innen ebenso wie solche, die berufsmäßig auf Reisen waren (zum Beispiel fahrende Kunsthandwerker_innen). Die Razzien – ab Anfang 1929 zweimal jährlich durchgeführt – hatten zum Ziel, jeden einzelnen reisenden Roma aufzugreifen, die Grenzen für neuankommende Roma zu schließen und Hygiene- sowie Strafmaßnahmen umzusetzen. Darüber hinaus führte jedes Komitat, der vorherrschenden feindseligen Haltung gegenüber den Roma entsprechend, noch eigene lokale Zwangsregelungen gegen sie ein.

Im Jahr 1942 schlug ein Gesetzentwurf mit dem Titel »Zur Regulierung des Zigeunerlebens, ansässig in Esztergom« vor, die Roma zu disziplinieren und sie zu bescheidenen, anständigen, zivilisierten, arbeitsamen Bürger_innen zu machen. Mit Roma war dabei jede Person von Roma-Abkunft gemeint (also ohne Unterscheidung zwischen reisenden und sesshaften Roma) sowie alle, die mit ihnen zusammenlebten. Die Folge der neuen Regelungen waren nicht nur regelmäßige Razzien, sondern auch erzwungene medizinische Untersuchungen und Zwangsarbeit. 1944 trat der Gesetzentwurf in Kraft. Es wurden Internierungslager für Roma eingerichtet, und ab Frühjahr 1944 wurden die ungarischen Roma deportiert.

Ehe im Oktober 1944 das Szálasi-Regime die Macht übernahm, galten die Roma von den Standpunkten der öffentlichen Sicherheit, Hygiene und Moral als für die Gesellschaft gefährliche Elemente. Dies war eine wichtige Voraussetzung für die Razzien, die organisiert wurden, um sie zur Sesshaftigkeit zu zwingen oder sie zu eliminieren.22

Ende 1934 zeichnete der Bürgermeister von Szolnok einen Beschluss, dem zufolge Jánosné Kulcsár (Witwe), István Nagyhajú und József Nagyhajú der Stadt verwiesen wurden und zuvor selbst ihre Häuser niederreißen mussten. Laut der Anordnung waren die Häuser ohne behördliche Genehmigung gebaut worden und ungeeignet, von Menschen bewohnt zu werden.23

István und József Nagyhajú legten am 6. Dezember 1934 Widerspruch gegen den Beschluss ein. Sie verwiesen auf die Notwendigkeit, bis zum Frühling in ihren Häusern zu bleiben, und ersuchten die Behörden, die Evakuierung aufzuschieben:

»[...] wir brauchen die Wohnung zumindest bis zum Ende der Winterzeit, auch wenn sie ein schlechter Notbehelf ist. Würde sie niedergerissen, wäre es noch schlimmer, den Winter unter dem tiefblauen Himmel willkommen zu heißen. Wir haben kein Geld, um eine Wohnung zu mieten, wir kommen kaum von Tag zu Tag über die Runden.«24

István und József Nagyhajú

Anfang 1935 gab der Alispán (stellvertretender Bezirksleiter) der Beschwerde statt, die Ferenc Tamási und seine Mitarbeiter_innen gegen Jánosné Kulcsár (Witwe), István Nagyhajú und József Nagyhajú, Roma-Einwohner Szolnoks, erhoben hatten. In der Beschwerde hieß es, ihre Lebensumstände verstießen gegen Vorschriften der öffentlichen Hygiene, des Brandschutzes und der Tiergesundheit, weshalb die drei Bewohner_innen laut Beschluss ihre Häuser binnen 30 Tagen zerstören mussten. Widerspruch war unzulässig.25 Um besser zu verstehen, wie die beanstandeten Lebensumstände aussahen, mag die kurze Notiz eines ortsansässigen Ingenieurs zur damaligen Beschaffenheit der Häuser in der Vonó-Straße hilfreich sein. Sie waren aus Lehm und Holz gebaut, die Dächer bestanden entweder aus Blech oder Ziegeln, und die Grundfläche betrug nicht mehr als zwölf Quadratmeter.26

Ende 1935 legte der leitende Amtsarzt István Elek einen Bericht zur sanitären Situation in der Stadt Szolnok vor und bezeichnete in seiner Schlussbemerkung die »Zigeunerbevölkerung« von Kisgyep als »Gefahr für die öffentliche Hygiene«. Durch ihre Lebensumstände und Essgewohnheiten könnten sie Epidemien verursachen, weshalb Elek vorschlug, ihre Häuser niederzureißen, strikte polizeiliche Untersuchungen anzusetzen und jene zu deportieren, die keiner geregelten Arbeit nachgingen oder nicht aus Szolnok stammten.27

Der Beschluss I.6320 aus dem Jahr 1936 ordnete die Zerstörung die Zerstörung der Häuser folgender Besitzer_innen an, da sie als gefährlich und als Wohnung ungeeignet seien: Istvánné Bujdosó (Kisgyep), István T. Kovács (Nyúl-Straße 10), Borisz Vitoriz (Dráva-Straße 20). Die Eigentümer_innen mussten sie innerhalb von 90 Tagen selbst niederreißen, und nach Ablauf dieser Frist hatte das Bauamt über den Fortgang zu berichten. Den Eigentümer_innen wurde eine Einspruchsfrist von 15 Tagen eingeräumt.28

Borisz Vitorisz, wohnhaft in der Dráva-Straße 20, legte Widerspruch gegen den Beschluss des Bürgermeisters von Szolnok ein, der das Haus als gefährlich und zum Bewohnen ungeeignet bewertete und die Vertreibung der Bewohner_innen anordnete. Das Haus an sich, argumentierte Vitorisz, sei nicht gefährlich, und sein Abriss würde ihn obdachlos machen. Zwar habe der Winter Schäden am Haus verursacht, doch diese pflege er immer auszubessern, sobald der Frühling komme.

Allerdings sei die Situation im Jahr 1936 dadurch erschwert, dass die »Zigeunerin« Bertalanné Nagyhajú ohne seine Erlaubnis und ohne dafür zu bezahlen in das Haus einzogen sei, was er bei der örtlichen Polizeidienststelle angezeigt habe. Dieser Umstand verzögere die Reparaturarbeiten, doch binnen zwei Wochen könne Vitorisz das Haus in einen Zustand bringen, der den Abriss unnötig mache.29

Bedauerlicherweise befanden sich im Archiv keine Dokumente über den weiteren Verlauf von Vitorisz’ Kampf um sein Haus.

Beschluss II. 6320/1936: sanitäre und allgemeine Inspektion in Kisgyep betreffend. Der Bürgermeister von Szolnok wies Bewohner_innen von Kisgyep an, beim Bauamt vorstellig zu werden, eine Wohngenehmigung zu beantragen und innerhalb von drei Monaten die bei der Inspektion festgestellten Mängel zu beheben.

Folgende Einwohner_innen wurden auf die Liste gesetzt: Gusztáv Kóré, Rózsi G. Nagy, János Raffael, Menyhért Kállai, Sándor Horváth, Miklós Raffael, László Kiss, Péter Barna, Sándor Farkas, Lajosné Károlyi özv., István Kovács, Györgyné Balog, László Mondok, Sándor Kökény, Ferenc Göncző.

Darüber hinaus wies der Bürgermeister das Bauamt an, alle zwei Wochen weitere Inspektionen durchzuführen, um die Instandsetzung der fraglichen Häuser zu überprüfen und den Bau der Toiletten zu überwachen. Der leitende Amtsarzt erhielt die Order, die »zigeunerbewohnten« Häuser zu kennzeichnen.30

Beschluss III. 6320/1936 des Bürgermeisters von Szolnok, Sándor Kerekes: Als der Sommer nahte, wurde dem leitenden Amtsarzt aufgetragen, in der »Zigeunersiedlung« in Kisgyep Patrouille zu gehen und Häuser und Toiletten wöchentlich mit Löschkalk zu desinfizieren. Den Löschkalk solle die Stadtverwaltung zur Verfügung stellen, und das Gesundheitsamt habe zu überwachen, dass die »Zigeuner« die Vorschriften für öffentliche Gesundheit und Hygiene einhielten.31

1939 besaßen die folgenden Roma Häuser in den Straßen Dráva, Vonó, Báthory, Délibáb und Bihari32: János Nagyhajú: Dráva-Straße 1, Lajosné Nagyhajú özv.: Dráva-Straße. 3, Lászlóné Fazekas özv.: Dráva-Straße 17, Samu Rostás: Dráva-Straße 19, Mária Pege: Dráva-Straße 22, János Rozsár: Dráva-Straße 24, Gábor Frigor: Dráva-Straße 32, Pálné Rozsár özv.: Dráva-Straße 36, Józsefné Kadet: Dráva-Straße 34, Róza Rozsár: Dráva-Straße 38, Zsigmondné Rozsár özv.: Dráva-Straße 45, Lajos Horváth: Dráva-Straße 48, István Nagyhajú: Vonó-Straße 8, Béla Varga: Délibáb-Straße 3, Gáborné Horváth: Délibáb-Straße 3a, Istvánné Nagyhajú özv.: Báthory-Straße 2, Sándorné Sántha: Báthory-Straße 12, Lajos Frigul: Báthory-Straße 16, Sándor Spiru: Bihari-Straße 2, Mihályné Horváth özv.: Bihari-Straße 4, Piros Bagi: Bihari-Straße 14, Lajos Szabó: Bihari-Straße 15.

Im selben Jahr hielt der Polizeipräsident in einem Brief an den Bürgermeister fest, nach den Ergebnissen einer von János Mátyus und seinen Mitarbeiter_innen beantragten Inspektion seien in den Straßen Dráva, Vonó, Bihari und Báthory 22 Häuser von Roma bewohnt, bei 18 davon seien sie selbst die Eigentümer_innen. Die Häuser seien in schlechtem Zustand, mit jeweils 18 bis 20 Bewohner_innen heillos überfüllt und glichen eher Höhlen als menschlichen Behausungen.

Der Brief identifiziert die Roma als Musiker_innen sowie als Feder-, Tuch- oder Keramikhändler_innen. Die öffentliche Sicherheit schienen sie nicht zu gefährden, auch wenn sie gemäß »Zigeunersitte« die wärmeren Jahreszeiten auf der Straße verbrachten und die Ruhe der anderen Bewohner_innen störten.

Da die immer häufigeren Inspektionen zur Aufrechterhaltung der Ordnung die Kapazitäten der örtlichen Polizei überstiegen, ersuchte der Polizeipräsident den Bürgermeister, die Vertreibung der »Zigeuner« aus den besagten Straßen einzuleiten.33

1937 berichtete der leitende Amtsarzt dem Bürgermeister von Szolnok,

»nach den üblichen Kontrollen« seien »ernstliche Bedenken in Sachen Volksgesundheit gegen die Familie Jakab in der Törteli-Straße und die Familie Rafael in der Szél-Straße erhoben worden. Angesichts der Tatsachen, dass sie zum einen hinsichtlich der öffentlichen Gesundheit gefährlich sind und zum anderen nicht aus Szolnok stammten und keine geregelte Arbeit hatten, empfehle ich weitere Vorkehrungen, um sie aus der Stadt zu entfernen, wenn nötig, mit Hilfe der Polizei.«34

Leitender Amtsarzt

1939 forderten Einwohner_innen Szolnoks in einem Brief an den Bürgermeister, Roma-Familien aus der Dráva- und der Volnó-Straße zu entfernen und sie in die Außenbezirke der Stadt umzusiedeln. Sie argumentierten, die Roma und ihre Familien lebten auf den Straßen, sie seien laut, störten die Ruhe mit ihren Kämpfen und Streitigkeiten etc., und diese Atmosphäre schrecke Besucher_innen ab. Die Gegend sei stinkig und schmutzig. Und wenn die Anwohner_innen, so behaupteten sie weiter, gegen diese Zustände vorgehen wollten, würden sich die Roma bei Nacht rächen.35

Im Brief eines Szolnoker Arztes an den leitenden Amtsarzt aus dem Jahr 1940 fordert der Schreibende unter anderem, die von Roma bewohnten Häuser in Kisgyep und Cigányváros zu überprüfen und, falls sie als unbewohnbar eingestuft würden, niederzureißen.36

Ebenfalls 1940 hielt der leitende Amtsarzt in einem an den Bürgermeister adressierten Bericht über die Abwasseranlagen in den Straßen Dráva, Báthory und Csokonai Folgendes fest:

1. Der öffentliche Brunnen am Beginn der Báthory-Straße sei in schlechtem Zustand, weil verrutschte Zementplatten den Wasserspeier teilweise verdeckten, wodurch das Gebiet um den Brunnen schlammig werde. Eine Reparatur und bessere Ausrichtung der Zementplatten sei angeraten. Zudem seien die Straßen – etwa die Dráva, die Csokonai, die Báthory, die Vonó und die Délibáb – vermüllt, was zu Gestank führe und eine mögliche Ursache für Epidemien sei. Empfohlen werde eine behördliche Reinigung der Straßen sowie der Bau von Rinnsteinen an jeweils beiden Straßenseiten. Auch sollten Schutzleute die Personen melden, die gegen die Grundsätze der öffentlichen Hygiene verstießen.

2. Weiterhin stellte der leitende Amtsarzt in seinem Bericht fest, dass die Müllbeseitigung in Szolnok unzureichend funktioniere. Symptome dafür seien zum Beispiel, dass es nur wenige öffentliche Abfallbehälter in der Stadt gebe und dass die Müllabfuhr nur einmal wöchentlich unterwegs sei, obendrein bloß mit vier Fahrzeugen. Dabei sei eine tägliche Abfuhr mit etwa acht Fahrzeugen in der Stadt erforderlich; außerdem würden mehr öffentliche und private Mülleimer benötigt – jeder Haushalt sollte über ein standarisiertes Gefäß verfügen. Auch auf die nötige Desinfizierung der Müllbehälter ging der Bericht ein und sogar auf die Idee des Recyclings.37

In einem weiteren Brief von 1940, gerichtet an den Fo ̋ ispán (den Distriktleiter) in einem bewusst düsteren, schwermütigen Ton, beschreiben sich die Bewohner_innen Kisgyeps als »arme Leute mit großen Familien«, die in Kisgyep wohnen bleiben müssten, weil sich eine Großfamilie in der Stadt keine anständige Wohnung leisten könne:

»Wir sind gezwungen, in diesem verdammten Walachenzigeunerloch zu leben. Sie sind so schmutzig und leben ein so unmoralisches und verderbtes Leben, und wegen ihrer Unmoral und Verderbtheit haben wir größte Mühe, hier unsere Kinder großzuziehen und gesund zu erhalten. Diese elenden Zigeuner schleppen alle Arten von stinkenden Tierkadavern an und vergraben nicht einmal die Gerippe und Eingeweide, sodass sie die Luft verpesten, Seuchen verursachen und die Gesundheit unserer Familien gefährden.«

Es folgt in dem Brief die Bitte, die »Zigeuner« aus der Gegend umzusiedeln.38

Die Ungenannten beim Namen nennen – ein Fazit

János Nagyhajú, Lajosné Nagyhajú, Lászlóné Fazekas, Samu Rostás, Mária Pege, János Rozsár, Gábor Frigor, Pálné Rozsár, Józsefné Kadet, Róza Rozsár, Zsigmondné Rozsár, Lajos Horváth, István Nagyhajú, Béla Varga, Gáborné Horváth, Istvánné Nagyhajú, Sándorné Sántha, Lajos Frigul, Sándor Spiru, Mihályné Horváth, Piros Bagi, Lajos Szabó, Gusztáv Kóré, Rózsi G. Nagy, János Raffael, Menyhért Kállai, Sándor Horváth, Miklós Raffael, László Kiss, Péter Barna, Sándor Farkas, Lajosné Károlyi, István Kovács, Györgyné Balog, László Mondok, Sándor Kökény, Ferenc Göncző.

Namen, die ich in den Archiven gefunden habe. Menschen, die den Maler_innen der Künstlerkolonie Modell gestanden haben könnten. Die Musiker_innen auf den Bildern von Vilmis Aba-Novák und Tibor Pólya könnten ein oder zwei der Roma-Musiker_innen aus der Volnó-Straße gewesen sein.

Jeder Name trägt in sich die Geschichte jener Zeit. Vielleicht konnte dieser Text einen flüchtigen Blick in ihr Leben eröffnen, aber nur vermuten lässt sich, was ihnen widerfuhr, als die Geschichte der Gewalt das Leben von Juden, Roma und anderen Minderheiten zerschmetterte.

Nach der deutschen Besetzung Ungarns im Sommer 1944 wurden Ghettos für die Roma-Bevölkerung eingerichtet: das erste im ostungarischen Kistarcsa, später weitere in den Komitaten Szolnok, Csongrád, Bács-Kiskun, Pest, Heves und Nógrád. Die Roma aus Szolnok und den benachbarten Orten wurden zusammengetrieben und mussten Zwangsarbeit in der Landwirtschaft leisten. Ab September gab es »Zigeuner-Arbeitsbataillone«, die ähnlich wie die jüdischen Arbeitstruppen Zwangsarbeit an Kriegsschauplätzen verrichten mussten.39 Viele der Roma aus Szolnok wurden in größere Ghettos verschleppt und dann in Konzentrationslager deportiert. Im Juni 1944 wurde Szolnok zum militärischen Operationsgebiet. Für die Bewohner_innen kam dies überraschend, denn sie hatten geglaubt, ihre Stadt bliebe vom Krieg verschont. Daher hatten sie ihre Habseligkeiten und auch die Schätze der Künstlerkolonie nicht in Sicherheit gebracht. Die Kolonie wurde ausgeraubt und zerstört; die Bibliothek und Bildergalerie wurden vernichtet. Szolnok wurde im November 1944 befreit, doch der Wiederaufbau der Künstlerkolonie dauerte Jahre.40

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