Roma-Literatur in Ungarn: Ein Überblick

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Zoltán Beck

József Holdosis Romane

Die Geschichten von József Holdosi (1951–2005) spielen in einer klar definierten Wirklichkeit: auf der Straße. Obwohl sozusagen eine unscharfe Metapher, bildet die Straße den ontologischen Rahmen für alle Romane Holdosis.

József Holdosi. Copyright: Julia Holdosi

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In seinem ersten Roman mit dem Titel »Kányák« (wörtlich ›Die Kányas‹) erzählt er über drei Generationen hinweg die Geschichte der Familie Kánya. Im Jahre 1978 veröffentlicht, erschien der Roman sechs Jahre später unter dem Titel »Die Straße der Zigeuner« in einer deutschen Übersetzung. Wie auch im deutschen Titel ersichtlich, verlagerte sich in der Übersetzung der semantischen Schwerpunkt des Romans auf die soziale beziehungsweise soziologische Fragestellung »Wie lebt und lebte das ›Zigeunervolk‹ in Ungarn?« Die Übersetzung wird durch einige spezifische Referenzpunkte des Romans geprägt, wodurch die Mythen, der Transzendentalismus, der Plot und die Protagonist_innen – verglichen mit der aktuellen gesellschaftlichen Realität – nur noch wie Illustrationen und Farbtupfer des Exotismus wirken.

Die Lesart, der Roman stelle die »Realität« dar, manifestiert sich auch darin, dass sich einige Familienmitglieder von Holdosi in den Protagonist_innen des Romans wiederzuerkennen glaubten und den Autor vor Gericht brachten. Holdosi verarbeitete diese Erfahrung im Radiohörspiel »Hajh, cigányok, hajh, Kányák« (›Ho, Gypsies, ho, Kányas!‹}. Die Parteien in diesem Streitfall sind der Autor als Angeklagter und Mitglieder seiner Familie, die vermeintlichen Kányas, die als Kläger_innen auftreten.

Nachdem Beate Eder-Jordan Ende der 1980er Jahre die deutsche Übersetzung von Peter Scharfe wiederentdeckt hatte, konnte sie sie 2014 schließlich neu herausgeben. Der geänderte Titel bezieht sich auf das Hauptsymbol des Romans und lautet »Die gekrönten Schlangen«. Die Kritiken in den Feuilletons waren äußerst positiv.

Die Hauptprotagonist_innen von Holdosis Romanen (unter anderem »Kányák«, »Cigánymózes«, »Glóriás«, »Dac«) sind fast durchweg aktive Personen, deren Erzählperspektiven den Text maßgeblich bestimmen. Gleichzeitig ist die Aufmerksamkeit weniger auf das Persönliche als auf die Gemeinschaft gerichtet. Diese Erzählhaltung schafft in den Texten einen kognitiven Horizont, der die Bilder allegorisch werden lässt: Sie werden zu Symbolen, bei denen die traditionelle Beziehung zwischen Bezeichnendem und Bezeichneten aufgelöst ist. Brücke, Palisade und Brunnen verwandeln sich in eine allegorische Dreifaltigkeit, werden zu neuralgischen Punkten zwischen Dorf und »Zigeunerstraße«, zwischen der hiesigen Welt und der Unterwelt, zwischen Roma und Bauern.

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