Flamenco

Suche

Dorantes

David Peña »Dorantes«: Das bin ich, meine Vision

Javier Caró (2) | Dorantes | Photographie | 2016 | fla_00263 Rights held by: Javier Caró I Licensed by: David Peña Dorantes I Licensed under: CC-BY-NC-ND 4.0 International I Provided by: David Peña Dorantes

Ich darf mich vorstellen: Mein Name ist David Peña, Künstlername »Dorantes«, ich bin in Lebrija geboren, einem Landkreis von Sevilla in Spanien. Ich bin Pianist und Komponist, man könnte sagen, Flamencopianist und -komponist, aber ich bevorzuge eine allgemeingültigere Einstellung zu meiner Musikdisziplin, obwohl ich weiß, dass mir Flamenco im Blut liegt und in den Verästelungen von Geist und Herz.

Ich wurde mitten in eine der beiden Familien (die Peñas und die Perrate) hineingeboren, die diese Musik, mit der wir uns beschäftigen, geprägt und weiterentwickelt haben und die zu den bedeutendsten in der Geschichte des Flamenco in Andalusien gehörten.

Flamenco wurde immer schon mündlich übertragen, von Haut zu Haut, von Herz zu Herz, von Erleben zu Erleben, von den Alten an die Jungen.

Er ist unsere Art der Kommunikation, fast gleichrangig mit der üblichen Sprache der gesprochenen Worte. Das Medium, durch das wir uns mitteilen, ist mehr als nur Musik – und unsere Zusammenkünfte sind viel mehr als nur eine Feier; es ist eher eine Art Kommunion.

Als glücklicher Erbe dieser Musik war mir immer schon klar, dass ich mich einmal von vielen Universalkomponist_innen und -pianist_innen unterscheiden und die Möglichkeiten einer eigenen Sprache haben würde, eine in die Seele gebrannte Klangästhetik, die Fähigkeit, aus einer anderen Sicht zu improvisieren, meine Art, die Töne zu fühlen, meine Art, mit ihnen zu spielen, und viele andere Dinge, die in meinem Kopf und in meinem Herzen zusammenkommen, um bei diversen Gelegenheiten zum schwer beherrschbaren Vulkan zu werden.

Ich wusste auch, dass meine zusätzliche Vorbereitung darin bestehen musste, Musiker_innen anderer Disziplinen wie der klassischen Musik auf die Hände zu schauen. Damit schulte und erweiterte ich meine Kenntnisse der Harmonielehre und der Komposition und trainierte meine Klaviertechnik, um meine Werke mit der notwendigen Variationsbreite ausdrücken zu können, denn im Flamenco ist das Klavier kein gewöhnliches Instrument, und es gibt so gut wie keine Quellen, die man anzapfen kann, um die Wissbegier zu stillen. Die allgemeine Musiklehre und die tägliche Disziplin zur persönlichen Fortentwicklung sollten bei der Herausbildung und Entfaltung einer jeden Musikkultur immer Ziel sein.

Diese zwei Ebenen bilden zweifelsohne meine Identität.

Und hier nehme ich den Faden wieder auf, bei meiner Selbstdefinition als Musiker.

Es ist der Flamenco unseres Hauses, ein detailreicher Flamenco, der Übertreibungen scheut, eine süße und doch bittersüße Musik, melancholisch im Ausdruck, elegant, fröhlich und so feierlich wie tragisch, stets auf alle Klänge achtend, damit sie die Ästhetik der Feinsinnigkeit nicht zerstören. Von jeher haben unsere Ältesten besonderen Wert darauf gelegt, uns weniger mit Worten denn mit ihrer Lebenseinstellung und ihrem Alltag zu vermitteln, dass Eleganz in der Kunst nur dann möglich ist, wenn es im Leben Eleganz gibt. Ein Beispiel für diese Erziehung ist die Schaffung kleiner Codes zur Definition gewisser Menschen, die bei bestimmten Zusammenkünften nicht wissen, wie sie das Zusammensein auf diese Art leben sollen; wir bezeichneten sie etwa als Insonrribles, ein Begriff, der Personen mit einem deplatzierten, taktlosen Verhalten definiert.

Mithilfe der Musik suchen wir nach Leichtfüßigkeit, wir lassen uns gerne treiben, leben im Augenblick und landen dabei oft und gern in erhabenen Momenten, die uns in unserer Identität stärken, unserer Identität als Gitanos. Ich glaube, dass wir deshalb diese familiären Momente so kultivieren und alles Erzwungene ablehnen, als spiele der Takt des Lebens und der Musik nach Art der Bach’schen »Kunst der Fuge« in subtilen Kontrapunkten, die wahre Momente der Bekenntnis erzeugen und Emotionen in den anderen evozieren, immer – und ich wiederhole mich – unter dem Gebot der Eleganz und der Feinsinnigkeit.

Es kann gar nicht anders sein: Flamenco ist eine Lebensweise, eine Art zu fühlen.

Jedes Mal, wenn ich mich der Komposition stelle, suche ich nicht nur nach einer klanglichen Ordnung, sondern nach meiner wirklichen Identität – mit dem Ausdruck und der Ästhetik, die mir meine Koordinaten von Herz und innerer Mitte, von Herkunft und Prägung, von Erinnerungen und Wahrheiten vorgeben. Eine Nadelspitze soll die Balance wahren helfen, nicht der Fels. Auf dass sich meine Musik für die nächsten Generationen wie ein Erbschaftsarchiv ausnehme.

Im Laufe der Geschichte hat der Flamenco immer wieder Musiker_innen anderer Stilrichtungen angezogen. Manuel de Falla zum Beispiel, Isaac Albéniz, Enrique Granados, Joaquín Turina. Sie fanden im Flamenco einen Quell der Bereicherung für ihre eigenen Werke und verliehen ihm dadurch eine ganz eigene Identität, eine Art nationale Prägung, die sich von anderen musikalischen Strömungen in weiteren Teilen Europas deutlich unterschied.

Sie versuchten, mal mehr und mal weniger erfolgreich, ihre Musik dem Ausdruck, der Ästhetik und der Art der im Rhythmus wechselnden Melodieverteilung des Flamenco anzugleichen. Sie wussten um das Potenzial und den Reichtum des Flamenco, um die Wahrheit, die sich hinter einem anderen Wohlklang verbirgt, um eine Vernunft und eine Kultur, die aus der Erde kommt, von der Wurzel her, und nicht von oberflächlichen Schösslingen.

Andererseits muss der Flamenco der Bühne vom Häuslichen unterschieden werden. Heutzutage erfreut sich der Flamenco als Show eines hohen Niveaus an Darsteller_innen und Schöpfer_innen, er kann neben anderen Musikrichtungen auf großen Bühnen und an prestigeträchtigen Orten bestehen.

Die Möglichkeit der einfachen Kommunikation hat Orte einander nähergebracht, die räumlich weit voneinander entfernt sind, hat diese Musik offen für andere Formen und Ästhetiken gemacht und so ein musikalisches Ergebnis von außerordentlicher Qualität erreicht, das mit dem Jazz und der Klassik vergleichbar ist, aber die Wärme der Reinheit, des Ausdrucks und der Intuition bewahrt hat und damit dem Urteil des Akademismus pariert. Man erreicht inzwischen ein recht interessantes Gleichgewicht zwischen den beiden Aspekten, das hoffentlich nicht verloren gehen und sich weiter ausbilden wird, weil es der Andersartigkeit stattgibt.

Rights held by: David Peña Dorantes (text) — Maria Meinel (translation) | Licensed by: David Peña Dorantes (text) — Maria Meinel (translation) | Licensed under: CC-BY-NC-ND 4.0 International | Provided by: RomArchive