Tanz

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Rosamaria E. Kostic Cisneros

Ungarische Tanzsammlung

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Botoló (Stick Dance) Tf.3823

Zsuzsanna Bene | Botoló (Stick Dance) Tf.3823 | Photographie | Ungarn | 1955 | dan_00072 Rights held by: Zsuzsanna Bene (artwork) / Research Centre for the Humanities – Hungarian Academy of Sciences (scan) | Licensed under: Rights of Use (scan) | Provided by: Research Centre for the Humanities – Hungarian Academy of Science (Budapest/Hungary)

Die Rom_nja, auf ungarisch magyarországi romák, machen in Ungarn nach Angaben der ungarischen Volkszählung von 2011 3,8 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.1 Wann genau sie ins Land kamen, ist unklar, aber es gibt Urkunden über Cigan, Cygan oder Chygan oder über Dörfer namens Zygan, die auf das 13. oder 14. Jahrhundert geschätzt werden (Kemény 2005).

Übersicht Ungarn: Botoló und Csárdás

Katalin Kovalcsik (2003) unterteilt die traditionelle Roma-Musik in zwei Kategorien: erstens die Musik, die die Rom_nja für eine Zuhörerschaft von Nicht-Rom_nja spielen, und zweitens die Musik, die die Rom_nja für sich selbst spielen. Die Musik für Nicht-Rom_nja bezeichnet selbst die wissenschaftliche Literatur in Ungarn mit dem umgangssprachlichen Begriff der »Zigeunermusik«, während die Musik, die die Rom_nja untereinander spielen, von diesen selbst »Volksmusik« genannt wird.

Der Begriff »Zigeunermusik« gehe, so Kovalcsik, auf Franz Liszt zurück, denn der ungarische Komponist bezeichnete in seinem 1859 in Frankreich und zwei Jahre später in Ungarn und Deutschland publizierten Werk »Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn« die von professionellen Roma-Musiker_innen gespielte Musik als »Zigeunermusik«.2

Waffen- und Kriegstänze gibt es wohl in allen Teilen der Welt. Als solche werden archaische Tänze bezeichnet, die waffenartige Requisiten wie beispielsweise Schwert, Axt, Beil oder Stock einsetzen. Auch in Ungarn gibt es diese Relikte einer alten Tanzkultur. Eines der bekanntesten ist der Botoló (Stocktanz) (Martin 1979).

Das Fotoarchiv der Ungarischen Akademie der Wissenschaften besitzt eine Sammlung von Fotografien, auf denen verschiedene Darstellungen des Botoló zu sehen sind – sowohl im Kontext einer Aufführung als auch in ländlicher Umgebung. Die ungefähr hundert Fotografien entstanden zwischen 1955 und 1989 und zeigen in ihrer Vielfalt sämtliche Nuancen des Tanzes. Weitere historische Dokumente zum ungarischen Tanz sind die farbigen Druckgrafiken des Künstlers Ernő Barta. Die Darstellungen zeigen ungarische Volkstänze von Männern und Frauen in traditioneller Tracht. Es ist zwar nicht eindeutig festzustellen, ob dabei tatsächlich der berühmte Volkstanz, der Csárdás, abgebildet ist, doch die Vermutung liegt nahe.

Ernő Barta: Grafikserie »Ungarische Tänze«

Die Geschichtsschreibung der Roma-Kultur konzentriert sich verstärkt auf bildhafte Tanzdarstellungen, also darauf, wie die Tanzkunst der Sinti und Roma durch die bildenden Künste wiedergegeben wird. Zu diesem Thema schufen im 19. und 20. Jahrhundert viele Künstler_innen Meisterwerke, die heute überall auf der Welt in den Museen zu sehen sind. Zu diesen Künstler_innen gehört der ungarische Grafiker und Maler Ernő Barta (1878–1956), dessen künstlerische Karriere um 1900 herum begann. Zu dieser Zeit wurde Barta Mitglied der Münchener Secession und gestaltete in den 1920er Jahren eine Grafikserie, die sich heute im Besitz der Brotherton Library in der University of Leeds in Großbritannien befindet.

Die zehn reizvollen Druckgrafiken mit dem Titel »Ungarische Tänze« sind lebendige Darstellungen von Roma-Tänzen aus ganz Ungarn. Leuchtende Farben, Rosa, Blau, Orange und Grün, vermitteln einen guten Eindruck von den Festen der Rom_nja, die auf den Bildern abgebildet sind. Die Tänzer_innen werden mitten in der Bewegung des Tanzes gezeigt und spiegeln gewissermaßen die Kultur einer Gemeinschaft zum Zeitpunkt seiner größten Festlichkeit und Fröhlichkeit wider. Die Tänzer_innen sind nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder, wodurch eine Gesellschaft im Bild festgehalten wurde, die die Begeisterung für den Tanz eint (Banatvala 2017).

Da sich die Tänze, die auf Bartas Grafiken abgebildet sind, nicht genau identifizieren lassen, ist es wichtig, die »Ungarischen Tänze« in einem größeren Zusammenhang zu betrachten:

»Im 19. und 20. Jahrhundert schufen die Komponisten – als Repräsentanten der europäischen intellektuellen Elite – den Topos der Zigeunermusik in der europäischen Kultur. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war ein schnellerer Tanz beliebt, der paarweise getanzt wurde und unterschiedliche Namen trug. [...] Die Bezeichnungen der Tänze wurden nicht unter einem gemeinsamen Begriff zusammengefasst, wurden aber um 1844 mit dem csárda (Wirtshaus oder Dorfschenke) in Verbindung gebracht, wo sie üblicherweise getanzt wurden.«

Pesovar 1987, S. 149

»Wie der Verbunkos wurde auch der Csárdás zum Nationaltanz. [...] Schon um 1800 schrieb die Allgemeine Musikalische Zeitung, dass die ungarischen Nationaltänze zum einen ›langsam‹ waren, ›weshalb sie als Werbungstänze bezeichnet wurden, während die schnelleren als Zigeuner- oder Volkstänze charakterisiert wurden‹. Um 1835 bemühte sich Márk Rózsavölgyi (1789– 1848), ein Geiger und angesehener Komponist von Tänzen (einschließlich des Verbunkos), [...] darum, einen ungarischen Nationaltanz zu erschaffen, der bei den Bällen des Adels eine Alternative zu den beliebten ausländischen, hauptsächlich deutschen Tänzen bilden sollte. Bei einem ähnlichen Transformationsprozess, an dem sich zahlreiche Musikern der Unterhaltungsmusik beteiligten, sollten Tänze wie beispielsweise die damals so beliebte Polonaise ersetzt werden.«

Piotrowska, 2013

Der ungarische Nationaltanz, der Csárdás, ist ein Paar- und Werbetanz. Einem langsamen Teil (Lassú) folgt ein schneller (Friss). Bei diesem Tanz müssen sich die Tänzer_innen sehr gerade halten, was Stolz zum Ausdruck bringt. Zum Csárdás gehören auch Plattlerfiguren, die von einzelnen Männern getanzt werden, während sich die Paare um sie herumdrehen. Die Musik wird von Roma-Kapellen gespielt und besitzt einen Zweiviertel- oder Viervierteltakt mit drängendem synkopischem Rhythmus.

Der Csárdás entwickelte sich im 19. Jahrhundert aus dem älteren Volkstanz des magyar kör (siehe Encyclopedia Britannica online czardas). Der ungarische Komponist Franz Liszt spielte in seinen klassischen Kompositionen, den Ungarischen Rhapsodien, auf den Csárdás an. Kovalcsik (2003) ist der Ansicht, dass im Zuge des wachsenden ungarischen Nationalismus Ende des 18. Jahrhunderts zahlreiche Roma-Musikgruppen wie Pilze aus dem Boden schossen. Die nationalistische Bewegung erfasste die gesamte Kultur einschließlich der Neologie, der Musik, des Tanzes und der Trachten.

Die Universität von Leeds unterscheidet zwischen den »Gypsy, Traveller und Roma« Communities und verfügt über getrennte Sammlungen, die sich einer Vielzahl von ethnischen (z.B. »Romany/Irish Traveller«) und nicht-ethnischen Gemeinschaften (z.B. »New Traveller«) mit einer nomadischen Kultur, Geschichte oder Lebensweise widmen.

Die Sammlungen umfassen außerdem eine große Anzahl von Publikationen – einschließlich der Sammlungsstücke, die die angeheiratete Nichte des Lord Brotherton, Dorothy Una Ratcliffe, in den 1950er Jahren gestiftet hat. Ratcliffe war fasziniert von der Kultur der Rom_nja und verbrachte einen großen Teil ihres Lebens damit, Fotografien und Veröffentlichungen über deren Kultur im In- und Ausland zu sammeln und Artikel über die Rom_nja zu schreiben.

Ungarische Tanzlieder

Im Repertoire der ungarischen Rom_nja gibt es Lieder, die als Tanzlieder bezeichnet werden können, weil sie, wie der Name schon sagt, Tänze musikalisch begleiten. Kovalcsik (2003) charakterisiert sie folgendermaßen:

»Sie sind geradtaktig, die Textzeilen umfassen sieben oder acht Silben, müssen aber in der Mitte oder am Ende der Melodie dreisilbig sein, zum Beispiel 8, 8+3, 8, 8+3. Es können jedoch auch mehr Zeilen sein, zum Beispiel 8, 8, 8+3, 8, 8, 8+3 etc.« (Sárosi 1978, S. 27)

Der Botoló (Stocktanz) erfordert einen Dreiertakt, einen Dreiachtel- oder Sechsachteltakt, kann aber auch Strophen enthalten, die einen Zweier- und einen Dreiertakt kombinieren.

Cigánytánc 1981.

Rights held by: Ernő Pesovár (artwork) / Research Centre for the Humanities – Hungarian Academy of Science (scan) | Licensed under: Rights of Use (scan) | Provided by: Research Centre for the Humanities – Hungarian Academy of Science (Budapest/Hungary)

Stocktanz

Die Quellen zur Musikgeschichte Ungarns nennen als einen der ältesten ungarischen Tänze den im 16. und 17. Jahrhundert beliebten Heiduckentanz. Dieser Tanz wurde zwar vor allem von Hirten und Soldaten getanzt, doch entspricht er dem damals allgemein üblichen Stil der Volkstänze. Der Quellenlage nach tanzten die männlichen Tänzer entweder allein oder in Gruppen, wobei sie virtuos ihre Waffen schwangen und akrobatische Figuren tanzten, die sie mit improvisierten Bewegungen abwechselten (Martin 1979, S. 8). Die Bewegungen der Waffen gehen auf deren Einsatz im Krieg oder beim Fechten zurück, und der Waffentanz kann von Männern sowohl in größeren Gruppen als auch paarweise getanzt werden. Der Tanzpartner kann auch eine Frau sein. Der Tanz ist kraftvoll und akrobatisch und wird von ausladenden Armbewegungen und rhythmischen Rufen begleitet. Zum Stil dieses ungarischen Tanzlieds gehören populäre Instrumente der Zeit wie Dudelsack (tárogató), Geigen oder Trommeln.

Unter den zahlreichen osteuropäischen instrumentalen Waffentänzen ist der Stocktanz der bemerkenswerteste.

»Die schönsten Formen der Stocktänze finden sich am nordöstlichen Rand der Großen Ungarischen Tiefebene.« (Martin 1979)

Martin erklärt außerdem, dass für zwanzig bis dreißig Jahre die besten Stocktänzer »Halbblut Hirten-Zigeuner« aus den Komitaten Bereg, Szatmár oder Nyírség gewesen seien, Glockengießer und Muldenhauer. Die Botoló-Tänze des nordöstlichen Teils der Großen Tiefebene (vor allem im Komitat Szatmár) und die Kanásztánc (Schweinehirtentänze) von Transdanubien (vor allem im Komitat Somogy) sind lebendige Relikte der wilden Heiduckentänze aus früheren Zeiten.

  • Sándor Michaletzky | Botoló (Stick Dance) Tf.40192 | Photographie | Ungarn | 1979-07 | dan_00103 Rights held by: Sándor Michaletzky (artwork) / Research Centre for the Humanities – Hungarian Academy of Sciences (scan) | Licensed under: Rights of Use (scan) | Provided by: Research Centre for the Humanities – Hungarian Academy of Science (Budapest/Hungary)
  • Sándor Michaletzky | Botoló (Stick Dance) Tf.40191 | Photographie | Ungarn | 1979-07 | dan_00102 Rights held by: Sándor Michaletzky (artwork) / Research Centre for the Humanities – Hungarian Academy of Sciences (scan) | Licensed under: Rights of Use (scan) | Provided by: Research Centre for the Humanities – Hungarian Academy of Science (Budapest/Hungary)
  • Sándor Michaletzky | Botoló (Stick Dance) Tf.40161 | Photographie | Ungarn | 1979-07 | dan_00090 Rights held by: Sándor Michaletzky (artwork) / Research Centre for the Humanities – Hungarian Academy of Sciences (scan) | Licensed under: Rights of Use (scan) | Provided by: Research Centre for the Humanities – Hungarian Academy of Science (Budapest/Hungary)
  • Zsuzsanna Bene | Botoló (Stick Dance) Tf.3823 | Photographie | Ungarn | 1955 | dan_00072 Rights held by: Zsuzsanna Bene (artwork) / Research Centre for the Humanities – Hungarian Academy of Sciences (scan) | Licensed under: Rights of Use (scan) | Provided by: Research Centre for the Humanities – Hungarian Academy of Science (Budapest/Hungary)
  • Zsuzsanna Bene | Botoló (Stick Dance) Tf.3824 | Photographie | Ungarn | 1955 | dan_00073 Rights held by: Zsuzsanna Bene (artwork) / Research Centre for the Humanities – Hungarian Academy of Sciences (scan) | Licensed under: Rights of Use (scan) | Provided by: Research Centre for the Humanities – Hungarian Academy of Science (Budapest/Hungary)

Rights held by: Rosamaria E. Kostic Cisneros (text) — Ira Wilhlem (translation) | Licensed by: Rosamaria E. Kostic Cisneros (text) — Ira Wilhlem (translation) | Licensed under: CC-BY-NC 3.0 Germany | Provided by: RomArchive