Ronald Lee wurde im Jahr 1934 in Montreal, Kanada geboren. Er ist kanadischer Rom, Autor und Aktivist. Nachdem er seine Entwicklungsjahre in Großbritannien verbracht hatte, kehrte er nach Kanada zurück, wo er heiratete und zusammen mit Lynn Hutchinson Lee Gründungsmitglied und Direktor des Roma Community Centre in Toronto wurde. Sie widmeten sich nicht nur der Unterstützung der Rom_nja, sondern sich auch der Förderung des interkulturellen Dialogs.

Zu Lees wichtigsten Publikationen zählt der autobiografische Roman »Goddam Gypsy« (1971, deutsche Übersetzung: »Verdammter Zigeuner« 1987), in dem der Autor die Welt der in den 1960er Jahren in Kanada lebenden Roma untersucht und kulturelle Konflikte zwischen kanadischen ethnischen Minderheiten und der Mehrheitsbevölkerung beleuchtet. Zu seinen Veröffentlichungen zählen auch »Learn Romani« (›Lerne Romanes‹, 2005), ein Englisch/Kalderaš-Romani-Wörterbuch, sowie zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze zur Sprache, Kultur und Geschichte der Roma und Sinti.

»Goddam Gypsy« (erstmals 1971 veröffentlicht und 2009 als »The Living Fire / E Zhivindi Yag« [›Das lebende Feuer‹] neu aufgelegt) ist ein fiktiver Bericht über das Leben des Autors in Kanada in der Zeit zwischen 1958 und 1967 – einer Zeit, in der die offizielle Multikulturalismuspolitik des Landes noch nicht zur Umsetzung gekommen war.

Die Hauptfigur Yanko wurde von einer Nicht-Roma-Pflegefamilie aufgezogen und auf Universitätsniveau ausgebildet. Nach erfolglosen Versuchen, sich in die kanadische Mehrheitsgesellschaft zu integrieren, beschließt Yanko, unter Rom_nja zu leben. Er hat vor, seine wachsende Familie zu ernähren indem er zusammen mit seinem Roma-Freund Kolja in der Verzinnungsindustrie arbeitet. Aufgrund der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage wird Yanko klar, dass es ihm nie gelingen wird, eine seriöse Arbeit zu bekommen, wenn er »nicht den Mund hält und sich als Gadscho ausgibt«, wozu er nicht mehr bereit ist.

Im gesamten Buch gelingt es dem Autor, einige der nachhaltigsten Anti-Roma-Stereotype zu dekonstruieren: ihre angebliche »Neigung« zum Stehlen, ihr oft behaupteter Mangel an Lesefähigkeiten, ihre »magischen« Fähigkeiten und ihre »unveränderliche«, »zeitlose« Natur. In der Notwendigkeit, hinter diese Stereotype zu blicken, wird die Realität der harten Lebensbedingungen sichtbar, die die Roma-Familien dazu zwingen, am Rande der Gesellschaft zu leben, wo ihnen Zukunftsperspektiven verwehrt bleiben. In vielerlei Hinsicht ähnelt das Schicksal der Roma damit dem anderer in Kanada lebender Minderheiten, insbesondere dem der amerikanischen Ureinwohner_innen.

Gegen Ende des Buches sagt Yanko voraus, dass »Zigeuner sich schließlich, wie jede andere Minderheit, über die Slums, das Laster, die Zerstörung ihrer Kultur und ihrer Selbstachtung assimilieren werden« (S. 116). Dies scheint durch den Tod des alten Patriarchen Dimitro bestätigt zu werden, der auch den Tod einer Kultur symbolisiert, die im dramatischen Gegensatz zur Mainstream-Gesellschaft steht, in der alles »auf Macht und Kapital statt auf Intellekt und Weisheit basiert« (S. 72).

Trotz des pessimistischen Fadens, der sich durch den Roman zieht, glaubt Yanko, dass Roma »das letzte Volk sind oder sein werden, das entmenschlicht wird« (S. 89). Trotz der Härten, Vorurteile und Diskriminierungen bleiben die Schlüsselaspekte der Roma-Kultur – die Sprachen und Traditionen, die zentrale Rolle der familiären Bindungen und die Solidarität innerhalb der Gruppe – lebendig. Das Ende der Geschichte bleibt offen, da Yankos Kampf »um Anerkennung und Gleichheit« (S. 8) in einem anderen Land fortgesetzt wird.

Bibliografie

Lee, Ronald. 1971. Goddam Gypsy: An Autobiographical Novel. Montreal: Tundra.

Lee, Ronald. 1987. Verdammter Zigeuner. Übersetzt von Irmela Brender, München: dtv.

Lee, Ronald. 2005. Learn Romani: Das-duma Rromanes. Hatfield: University of Hertfordshire Press.

Lee, Ronald. 2010. Romani dictionary: Kalderash-English. Magoria Books.