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Interview mit Tcha Limberger, Manouche-Multiinstrumentalist und –Sänger

Von Siv B. Lie

Paul Nicholas | Photo of Tcha Limberger | Fotografie | Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland | mus_00130 Rights held by: Paul Nicholas | Licensed by: Paul Nicholas | Licensed under: CC-BY-NC-ND 4.0 International | Provided by: Paul Nicholas – Private Archive

TL: Die Aufnahme, die ich gleich senden werde, ist aus einem der letzten Konzerte einer Band namens Romani. [Das Album] wurde letztes Jahr [2015] neu herausgegeben. Es ist das alte Album plus einige Extras, die genau genommen nicht [von der Band] Romani stammen, aber lose mit ihr zusammenhängen, denn hier spielt nur Koen [De Cauter].

SL: Also Koen mit völlig anderen Musiker_innen?

TL: Ja. [Es sind auch] ein paar [Stücke auf dem Album], in denen mein Vater singt. Eines der letzten Konzerte der Band wurde in Antwerpen aufgenommen, direkt vor meiner Haustür [lacht]. Man hört die Straßenbahn vorbeifahren, denn es war einer dieser »autofreien« Tage, an denen die Leute ihr Auto stehen lassen sollen – als Erinnerung an die 70er, als wegen der Krise jeder Sonntag autofrei war. Damals durfte man wegen der sogenannten Ölkrise sein Auto nicht benutzen. An diesem Tag kam also William, der Besitzer eines Lokals namens Patine, auf mich zu und meinte: »Kommst du vorbei und spielst? Das wäre toll!« Also spielten wir mit der Band Romani, die aus Koen De Cauter, seinem Sohn Dajo De Cauter am Kontrabass, meinem Vater, Vivi Limberger und mir an der Geige mit gelegentlichen Gesangseinlagen bestand. Ich probierte an diesem Tag eine neue Geige aus. Und mein Vater war in absoluter Topform. Es war eines der besten Konzerte, die ich je mit ihm gespielt habe. Bei diesem Lied sang er und spielte Begleitung, Koen spielte Gitarre, und ich spielte Geige und sang auch ein wenig. Ja, das ist es. Es ist ein Trinklied und heißt »Me Hum Mato«.

SL: Wissen Sie etwas über die Ursprünge von »Me Hum Mato«?

TL: Nein. Ich glaube, es kam über Schnuckenack [Reinhardt] zu uns.

SL: War es eines der Daumenickel-Triska-Lieder?

TL: Könnte sein. Obwohl es irgendwie nicht danach klingt. [Triska-Lieder wie] »Tchavo«, »Tu Djaial« oder »Man Hi Tschi« haben alle etwas, das ich bei »Me Hum Mato« nicht höre. Aber ich bin mir nicht sicher. [...]

SL: Wenn Sie vom »neuen Manouche-Stil« sprechen: Geht es da hauptsächlich darum, ein dünnes Plektrum zu verwenden und sehr viele Noten zu spielen, oder gibt es noch andere typische Techniken?

TL: Nun ja, es gibt unterschiedliche Schulen. Und auch das sind nur grobe Verallgemeinerungen. Aber mir scheint, dass die französische Schule, wie Biréli [Lagrène], mit diesem dünnen Plektrum angefangen hat. Es wird außerdem verkehrt rum verwendet, um einen noch volleren Klang zu erzielen. Innerhalb der französischen Schule gibt es auch ganz neue Leute wie Adrien Moignard, die zunehmend eine modale Spielweise einführen, was sie als »moderne Phrasierung« bezeichnen. Ein junger Student kam einmal mit einem Stück zu mir, das er gehört hatte – ich glaube, es war Sébastien Giniaux mit einem Solo über ein Lied, das mir gerade nicht einfällt. Jedenfalls sagte er zu mir: »Das wäre ohne die Rhythmusgruppe viel schöner«, denn das Solo hatte sich so weit von den Harmonien der Rhythmusgruppe entfernt, dass es sich irgendwie zusammenhanglos anhörte. Außerdem fand er, es würde alleine viel besser zur Geltung kommen. Ich verstehe, was er meint.

SL: Sébastien Giniaux ist ja vor allem als Musiker des Gypsy Jazz oder Jazz Manouche (oder wie immer man es nennen will) bekannt, aber er hat natürlich auch viel Balkan-Musik gespielt, und all diese Einflüsse treiben neue Zweige und Verästelungen. Deshalb denke ich, wenn er versucht, seine eigenen künstlerischen Ideen einzubringen, ist das nicht immer so stimmig, wie man es erwarten würde.

TL: Ich weiß nicht. Ich unterhalte mich jedenfalls gern mit ihm. Ich habe den Eindruck, dass wir uns gut verstehen. Allerdings kenne ich nicht viel von dem, was er zuletzt gemacht hat. Ich weiß, dass er Cello spielt, aber er meint, das Cello eigne sich nicht [für Gypsy Jazz], was ich sehr schade finde. Ich denke, es eignet sich sehr wohl dafür. Ganz sicher. Wenn ich Cello spielen könnte, würde ich es definitiv so einsetzen. Aus der jüngeren Generation gefällt mir Antoine Boyer ganz gut, obwohl ich nicht genau weiß, was er macht. Aber ich hörte dieses Gitarrensolo von ihm – ein Solostück ganz ohne Begleitung –, das ist wirklich schön.

SL: Könnte man sagen, es hat etwas von Djangos Solo-Improvisationen?

TL: Es ist schon viel weiter weg von der tonalen Spielweise und näher an der modalen. Djangos Improvisationen haben etwas sehr Romantisches, Harmonisches. Man hört ganz klar: Das ist der I-Akkord, das ist der V-Akkord. Antoines Stücke sind komplexer. [...]

SL: Bekommen Sie bei Jazz-Manouche-Festivals oft zu hören, dass eine bestimmte Musik, die Sie spielen, zu wenig Jazz Manouche ist?

TL: Ja. Dabei gehe ich eigentlich davon aus, dass die Leute genau das wollen, wenn sie zu mir kommen – also nicht den typischen Jazz Manouche, denn sie wissen ja, dass ich das nicht wirklich mache. Trotzdem bringen mich viele mit dem alten Stil in Verbindung, das ist irgendwie seltsam. Meistens werde ich jedoch wegen der Lieder angefragt – in Amerika würde man sagen »the real thing« [lacht].

SL: Ach! Man hält also eher Lieder für »the real thing« als Instrumentalmusik?

TL: Da die Lieder auf Romanes gesungen werden, sind sie noch unmittelbarer der Manouche-Kultur zuzuordnen als vielleicht ... – aber dazu muss ich etwas ausholen. [Der belgische Roma-Gitarrist] Fapy [Lafertin] hat – wie ich – ganz bestimmte Vorstellungen, was sein Repertoire betrifft. Man wird bei einem Konzert von Fapy oder mir kaum [Django-Kompositionen wie] »Minor Swing« oder »Djangology« zu hören bekommen. Bei Fapy war das zwar der Fall, aber das liegt daran, dass er stark mit Django und Gypsy Jazz in Verbindung gebracht werden will. Ich würde definitiv keines dieser Stücke wählen. Fapy ist aber vor allem gut darin, schöne alte Melodien und Stücke auszugraben, die sonst keiner spielt. Einmal, bei einer Manouche-Jamsession in Holland, holte er so ein Stück hervor – vielleicht war es »Lentement, Mademoiselle« oder irgendetwas anderes von Django, das nie gespielt wird. [Der Gitarrist] Paulus [Schäfer] beschwerte sich: »Du kommst immer mit diesen seltsamen Stücken an! Wieso spielst du nicht basher mo tchomôni Romanes?« [Also: etwas aus unserer Kultur, im Manouche-Stil.] Fapy antwortete: »Ok, schlag etwas vor!« Daraufhin spielten die anderen [den amerikanischen Jazzstandard] »All of Me« an. Deh-deh-deh [schnipst mit den Fingern]. Da konnte Fapy nur lachen – ein amerikanisches Lied! Was sollte das denn? Er sagte: »Ihr wollt echte Roma-Musik spielen und fangt mit einem amerikanischen Lied an!?« Ich glaube, deshalb gelten unsere Lieder in Amerika als »the real thing«. Sie sind vielmehr Ausdruck der Manouche-Kultur als jeder Jazzstandard – und sei er noch so oft von Django oder anderen gespielt worden.

SL: Es ist schon interessant, wie unsere eigene Herkunft beeinflusst, was wir für echt oder authentisch halten. Letztlich kommt Musik ja immer irgendwo her, wird weitergegeben, übernommen und transformiert.

TL: Ja, genau. So sollte es jedenfalls sein.

[...]

Einer der wenigen, dessen Lieder ich wirklich mag, war Bamboula [Ferret]. Die Art, wie er Worte zusammenfügte, auch auf Romanes, war etwas Besonderes. Es passte zur Sprache, und man spürte darin die Weisheit eines alten Mannes, der nicht immer nur über dieselben Dinge sang. Und selbst wenn er über dieselben Dinge sang, dann auf eine humorvolle, anspruchsvollere Weise. Er verwendete nicht zu viele deutsche Wörter. Ich denke, es war ihm irgendwie bewusst, dass man sie vermeiden konnte, wenn man wollte.

SL: Diese Wörter sind ja eine Art Krücke, um etwas auszudrücken, für das es kein Wort auf Romanes gibt, oder?

TL: Ja, wenn es für etwas kein Wort auf Romanes gibt, nimmt man normalerweise das deutsche Wort. Aber er suchte nach Wegen, Dinge zu umschreiben, sodass er zumindest die Hälfte der deutschen Wörter weglassen konnte. Ganz ohne deutsche Wörter kam er aber auch nicht aus. Ich glaube, das ist unmöglich. Aber er löste manches auf seine eigene Art. Wenn er zum Beispiel das Wort »vielleicht« – für das wir ein dreisilbiges Wort haben – an einer Stelle brauchte, wo es nur eine Silbe haben durfte, nahm er einfach das deutsche Wort und quetschte es in eine Silbe [lacht]. Seine Liedtexte sind auf jeden Fall origineller als die vieler anderer. Mir gefällt zum Beispiel »Man Hi Tschi« sehr gut, wegen seiner schönen Melodie. Auch der Text ist interessant – er hat nur zwei Strophen, die aber zu einer dritten vermischt werden.

SL: Und das war ein Daumenickel-Triska-Lied?

TL: Ich bin ziemlich sicher. Und ich glaube, er hat es auch gesungen [auf der Originalaufnahme]. Ich bin nicht ganz sicher, aber ich vermute es. Es steht auf dem Album, aber auch da bin ich mir nicht sicher, ob das von meiner Mutter richtig in die Brailleschrift übersetzt wurde. Ich glaube, da steht Häns’che Weiss oder Schnuckenack [Reinhardt], und wenn es nicht Schnuckenack ist, dann ist es Titi Winterstein an der Geige, ich weiß es nicht genau. Es ist eine LP. Der Sänger ist auf jeden Fall nicht Schnuckenack und auch nicht Häns’che oder Titi, da bin ich sicher. Deshalb glaube ich, er ist es selbst, denn es muss ziemlich sicher ein älterer Mann sein – nach der Stimme zu schließen und der Ruhe, die er ausstrahlt. [...]

Rights held by: Siv B. Lie (text) — Claudia Fuchs (translation) | Licensed by: Siv B. Lie (text) — Claudia Fuchs (translation) | Licensed under: CC-BY-NC-ND 4.0 International | Provided by: RomArchive