Die spanische Hafenstadt Cádiz ist für die Weiterentwicklung des Flamencos eine tragende Säule und eines seiner kreativsten Zentren.

Sein Meereshafen, ein Tor für den Handel und für Eingewanderte insbesondere aus den ehemaligen spanischen Kolonien in Amerika und Afrika, macht Cádiz zu einer buntgemischten Stadt und einem wahren Schmelztiegel der Kulturen. Die einheimische Musik (arabischer, jüdischer und kastilischer Herkunft sowie die der Rom_nja) erfährt eine Auffrischung durch neue Klänge und Rhythmen aus Südamerika, dem subsaharischen Afrika und der Karibik. Die Menschen, die von dort kommen, bringen ihre Gefühle durch überlieferte Gesänge zum Ausdruck, und so wird der Flamenco zwangsläufig durchlässig für diese anderen, neuen Töne und findet als Kunst zu einem größeren Reichtum.

In Cádiz, genauer gesagt in dem unvergleichlichen Flamencoviertel Santa María, kommt am 19. Juni 1924 Antonia Gilabert Vargas auf die Welt, »La Perla de Cádiz«; eine cantaora gitana (spanische Roma-Sängerin), die als die weibliche Stimme gilt, die im Flamenco dieser Stadt den größten Widerhall gefunden hat.

Ihr Weg war von der Wiege an vorgezeichnet: Ihre Eltern, der Gitarrist Juan Gilabert und die cantaora Rosa Vargas Fernández, »Rosa la Papera«, waren bekannte Künstler_innen, und zu Hause wurde der Flamenco täglich gelebt.

Mit ihrer Leidenschaft für den Gesang machte die kleine Antonia bald auf sich aufmerksam. Ihre Fähigkeiten waren sehr ausgeprägt, ihre Lust auch; hinzu kam, dass sie zwei großartige Lehrer hatte: ihre Eltern.

Ihr Biograf Félix Rodríguez beschreibt sie folgendermaßen: »La Perla hatte den Gesang mehr im Blut als im Kopf. Was sie ausmachte, bildete sich in dem Viertel Santa María heraus, diesem Tummelplatz der Flamencolehrer; und ohne sich dessen bewusst zu sein, fast ohne dass sie es selber wusste, hatte sie in ihrer begnadeten Stimme die ganze Majestät, die Essenz, den Rhythmus und den duende – diesen besonderen Zauber ihres Gesangs.«

Alles deutete darauf hin, dass Cádiz endlich seine große cantaora haben würde. Doch persönliche Umstände sorgten dafür, dass dies erst mit einiger Verzögerung geschah: aufgrund ihrer Heirat im Jahr 1948 mit Francisco Torres genannt »Curro la Gamba«, ebenfalls Rom und ein Flamencokünstler, der es nicht billigte, dass seine Frau in die Welt der Kunst eintrat. Ihr Schicksal aber war vorgezeichnet, und so sollte La Perla de Cádiz, wenn auch erst später als vorgesehen, den Raum des Flamencos für sich erobern.

1959 beschließt sie, am Concurso Nacional de Arte Flamenco in Córdoba teilzunehmen, wo man ihr den ersten Preis in den Kategorien Bulerías und Alegrías zuerkennt – eine wichtige Auszeichnung, da der Wettbewerb in Flamencokreisen ein hohes Ansehen genießt. Zum wahren Triumph aber wurde ihr Auftritt, weil er für das Publikum (für die Aficionados, die Flamencologie, die Kritik) eine echte Überraschung war und in den Medien ein großes Echo fand. In La Perla de Cádiz hatte man eine cantaora mit ganz eigener Persönlichkeit entdeckt, eine Erneuerin in der Art und Weise, Stile zu interpretieren, die auf den Fundamenten von Jahrhunderten gründeten und in ihren Strukturen festgelegt waren. Sie zog ein in den Olymp der Auserwählten und machte Schule: »… singt die Bulerías oder Alegrías wie La Perla.«

Für sie wird es ein Jahrzehnt der des Erfolgs. Madrid empfängt sie mit offenen Armen, und verschiedene Flamencobühnen (unter anderem Tablao Zambra, El Duende, Tablao Los Canasteros, Torres Bermejas) reißen sich um sie für ihre Ensembles; ebenso die tablaos in Sevilla (Cortijo El Guajiro und Tablao Flamenco Los Gallos), wo sie ihre unbestreitbare sängerische Idiosynkrasie unter Beweis stellt. Zugleich bereist sie ganz Spanien, tritt in den angesehensten Shows auf, steht auf den Bühnen großer Festivals. Aufgrund ihres Erfolgs in Madrid melden sich die Schallplattenfirmen (Columbia, Hispavox, Fontana, Zafiro, Belter), um ihre Stimme und ihre so eigene Art des Gesangs auf Vinyl zu bannen. Es kommen zehn Aufnahmen in zwölf Jahren zusammen, und sie sind längst Teil der Geschichte des Flamencos aus Cádiz.

Der Glanz der »Perle von Cádiz« währte nur kurz, doch wie der Duft einer Rose, der überdauert, leuchtet er noch im musikalischen Gedächtnis aller, die das Glück hatten, sie zu erleben. Die große Niña de los Peines war eine erklärte Bewunderin ihrer Kunst, und auch Camarón de la Isla ließ sich von ihrer Art zu singen ergreifen und wurde zu einem ihrer treuesten Schüler.

Wie Amós Rodríguez Rey, Poet und Bewunderer aus ihrer Heimatstadt, Tage nach ihrem Tod in Cádiz am 14. September 1975 in seinen »Impresiones« schrieb:

»Eine runde Stimme mit dem Bewusstsein, einem traurigen Volk anzugehören, ist für immer von uns gegangen, unter dem eintönigen Rauschen der Wellen, die so oft einen Gesang begleiteten, der, eben weil es Bulerías waren, niemals fröhlich sein konnte […] Der Flamenco von La Perla de Cádiz hatte immer Tiefe, war authentisch, es waren die Klänge eines wunden Herzens […] La Perla besaß die seltene Fähigkeit, ihr Publikum zu überzeugen und sie ihrem künstlerischen Willen zu unterwerfen. Die Geschmeidigkeit und Sanftheit ihrer Stimme bereitete virtuos auf den Höhepunkt der cantes vor, ehe sie aufs natürlichste, ohne gekünstelte Anstrengung, vom Kraftvollen überging zu den anmutigsten Zartheiten.

Ihr Denken als Sängerin drückte sie mit Klangfarben voller subtiler Nuancen aus, schlicht und von außerordentlicher Noblesse, und die Kraft ihres Ausdrucks entsprach immer der Kraft ihrer Gefühle […]«

(»Diario de Cádiz«, 21. September 1975)