Sinti und Kampers

Lisa Weiss wurde 1958 in einem Lager nomadisch lebender Menschen im niederländischen Venlo geboren, einer Grenzstadt in der Nähe von Deutschland und Belgien. Ihre Mutter stammte aus der Kamper-Community (Fahrende), ihr Vater war Sinto. Die Sinti- und Kampers-Communitys der Region sind bis heute miteinander verwoben und teilen sich die Lagerplätze, aber sie erhalten ihre separaten Identitäten aufrecht.

In ihren ersten fünf Lebensjahren wuchs Weiss zweisprachig (Sinte-Romanes und Niederländisch) auf, bis ihr Vater ihre Mutter verließ und von der Familie mütterlicherseits gezwungen wurde, sich fernzuhalten. Die führte zu einer großen Kluft zwischen Weiss und ihrer Sinti-Familie, bis sie mit sechzehn wieder Kontakt mit ihnen aufnahm. Ihr ganzes Leben fühlt es sich für Weiss so an, als lebte sie in zwei Welten und wäre nie ganz mit der einen oder anderen verbunden. In der Kampers-Community fühlte sie sich fehl am Platze und wurde dort wegen ihrer Sinti-Abstammung diskriminiert. Als sie älter war, fühlte sie sich auch in der Sinti-Community nicht völlig heimisch, da sie die Sprache nicht ausreichend beherrschte.

Musikalische Ausbildung

Weiss begann schon als Kind zu singen und trat mit Liedern vor Freund_innen und ihrer Familie auf. Nach einer Weile begann sie, Gitarrenunterricht zu nehmen. Als weibliche Gitarrenspielerin ist sie ziemlich einmalig in der Sinti-Community, da üblicherweise die Frauen dort nicht Gitarre spielen; das Spielen von Instrumenten ist eher Männersache. Weiss gilt manchen in der Sinti-Community mit ihrem künstlerischen Leben vielleicht als zu extrovertiert. Dass sie manche Konventionen der Gemeinschaft nicht befolgt, mag sich dadurch erklären, dass sie prägende Jahre außerhalb der Community verbracht hat. Es gibt aber auch bereits weitere Frauen, die mit den Konventionen brechen – die Zeiten ändern sich in Bezug auf die Regelkonformität.

Liedthemen und bürgerliches Engagement

Lisa Weiss nimmt ihre Sinti-Herkunft nun aktiv an und repräsentiert dieses Erbe mittlerweile seit fünfzehn Jahren auch nach außen. Sie schreibt Musik in der Sprache der Sinti und engagiert sich für Projekte, die ihrer Community zugute kommen. Sie ist im niederländischen Fernsehen sowie bei einer Reihe von Festivals aufgetreten, zudem hat sie zahlreiche Studioaufnahmen gemacht. Ihre Lieder enthalten von ihr erlebte Wahrheiten, aber auch eine ordentliche Dosis an Nostalgie und emotionaler Katharsis. Thematisch geht es in ihren Liedern häufig darum, frei zu leben und zu reisen, aber auch um tatsächliche Kämpfe, die man im Leben durchstehen muss, und um die Liebe. Neben ihrer Musik verfasst Weiss Erzählungen über die Abwesenheit ihres Vaters und die Verfolgung der Sinti und Roma im Holocaust. Zudem arbeitet sie als Schauspielerin.

Weiss hat ein Bildungsprojekt initiiert, bei dem sie niederländische Kinder einlädt, zu ihr ins Studio zu kommen und ihren Auftritten zuzuhören. Durch Geschichten und Bilder führt sie die Kinder in die Kultur der Sinti ein, um so Vorurteilen entgegenzuwirken. Über 1.400 Kinder haben zudem auf ihre Einladung hin ihren Wohnwagen im Lager in Venlo besucht, was die meisten Eltern zunächst nicht gern sahen, da das Lager in der Mehrheitsbevölkerung einen schlechten Ruf hat. Auf diese Weise bietet sie jungen Menschen die Gelegenheit, aus erster Hand und realistisch eine Umgebung zu erleben, die ebenso gefürchtet wie romantisiert wird.