Die Anfänge des Flamencos, vor allem des sogenannten cante gitano andaluz, haben viel zu tun mit der Zeit der gesellschaftlichen Isolierung, die auf die »Große Razzia« von 1749 folgte. Die Angst, erneut gefangen genommen zu werden, und das Trauma derjenigen, die diese Verfolgung miterlebten, müssen Spuren hinterlassen haben, die sich tief ins Gedächtnis der Gemeinschaft der Rom_nja eingruben.

In den Cartas Marruecas (Marokkanische Briefe, 1789), einem Briefroman von José Cadalso, findet sich einer der ersten Berichte über die Gitanos in Andalusien und ihre Musik in der Zeit nach der Razzia. Erzählt wird von einer musikalischen Zusammenkunft auf einem Gehöft.

Ohne Zweifel bilden sich in dieser Zeit die Elemente des cante gitano andaluz heraus. Die Gesänge im Stil der Toná entwickeln sich, und erste Flamencosänger_innen wie Tío Luis el de la Juliana hatten ihre Schöpfungen bereits um 1770 verbreitet (die Liviana, die Toná del Cristo und die Toná de los Pajaritos). Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat der Toná-Gesang sich bereits aufgefächert und bis zu 33 unterschiedliche melodische Formen hervorgebracht, geschaffen von Roma-Sängern aus Jerez oder Triana. Ein großer Teil dieser Gesänge sind jedoch in Vergessenheit geraten, niemand hat sie je aufgenommen.

Die Toná wird die Grundlage sein für die Siguiriya, deren erste Stile uns zu Beginn des 19. Jahrhunderts begegnen, hauptsächlich in Triana und in der Gegend von Cádiz.

Ein Sänger ragt zu Beginn der Entwicklung des Flamencos jedoch unter allen anderen heraus. Es ist der cantaor »El Planeta«. Erste Hinweise auf diesen Roma-Künstler erreichen uns durch die Texte von Serafín Estébanez Calderón, Schriftsteller, Politiker und Arabist aus Málaga.

Estébanez Calderón ist der erste Intellektuelle, der ein Flamencoereignis schriftlich festhält, genauer gesagt mit zwei Chroniken: »Un baile en Triana« (Semanario, Wochenzeitung, 1831) und »Asamblea General« (El Siglo 1845), die er unter dem Pseudonym »El Solitario« veröffentlicht. Später werden sie in den kostumbristischen Sammelband »Escenas andaluzas« (1847) aufgenommen.

Der Chronist schildert ausführlich, was alles bei diesen Versammlungen geschieht: Er beschreibt und analysiert die gespielte Musik, und zugleich porträtiert er literarisch die verschiedenen Künstler_innen, die daran teilnehmen.

In seiner ersten Chronik, »Un baile en Triana«, erscheint »El Planeta« als ein Künstler, der unter den anderen hervorsticht. Er gibt eine ausführliche Beschreibung seiner Kleidung und seiner Gesichtszüge; eine Beschreibung, deren sich Jahre später der Maler Francisco Lameyer bedient, um das prototypische Bild zu zeichnen, wie es der Nachwelt überliefert ist.

Auf diese Weise wird »El Planeta« in der Geschichte der Flamencomusik eine Bedeutung zuteil, die über seine künstlerischen Qualitäten hinausgeht: Er ist der erste Flamencokünstler in den Annalen dieser Kunst, der es »in die Presse« schafft.

So wird der Text zur ersten Musikkritik des ersten Flamencoexperten über den ersten Künstler, den man auf der langen Liste der Namen im Flamenco kennt:

»Wir kamen gerade herein, als ›El Planeta‹, der erfahrene und, für Kenneraugen, überaus stilvolle Sänger mit einer Romanze oder Corrida begann, nach einem Vorspiel der Vihuela und zweier Mandolinen, aus denen das Orchester im Wesentlichen bestand, und er fing an mit diesen eindringlichen Tremolos auf der oberen Saite, gestützt vom wehmütigen Timbre der unteren, das alles in einem ernsten und feierlichen Rhythmus, und ab und zu gab der kluge Spieler, wie um besser im Takt zu bleiben, ein paar sanfte Schläge auf den Bund des Instruments, eine Besonderheit, die die tieftraurige Aufmerksamkeit des Publikums noch steigert. Der Sänger begann mit einem langgezogenen Seufzer, und nach einer nur kurzen Pause sang er die wunderschöne Ballade vom Conde del Sol, die in ihrer Schlichtheit und altertümlichen Anmutung sehr schön die vergangene Zeit heraufbeschwört.« (»Escenas andaluzas«, Ed. Cátedra 1985, S. 253 f.).

Später erscheinen weitere Schriften, die den Künstler erwähnen, sie alle betonen seine Qualitäten als Schöpfer und Interpret; doch erst 2011 erhalten wir weitere Angaben zu »El Planeta«: Er hieß Antonio Monge Rivero, wurde 1789 in Cádiz geboren und starb 1856 in Málaga. Er war gitano und Metzger aus Familientradition.

Ebenso wissen wir, dass er, abgesehen davon, dass er Fleischereien besaß, ein hervorragender Sänger und Gitarrist war. Seine Auftritte hatte er meist auf privaten Festen, zu denen man ihn nicht nur lud, um zu singen und zu spielen, sondern auch, um die Gruppe zusammenzustellen. Er wurde berühmt im Flamencomilieu der Zeit, und als Künstler reiste er durch einen großen Teil Andalusiens und häufig auch nach Madrid.

Der Romance, der Polo, die Caña, die Toná und die Siguiriya waren seine bevorzugten Flamencogesänge, zu ihnen allen hinterließ er eine Schule. Er war so klug, sein Können an die nachfolgende Generation von Sängern weiterzugeben; unter ihnen ragt »El Fillo« heraus, ebenfalls Rom und stilbildend für den cante gitano.

Wir haben es demnach mit dem ersten großen cantaor in der Geschichte des Flamenco Gitano zu tun – mit einem Mann, der den Gesängen, die er erlernte, eine Form gab, und der eine Art zu singen hinterließ, die beispielhaft sein sollte für die kommenden Generationen. Zumindest ein eigenes Lied hat er hinterlassen, die sogenannte »Siguiriya del Planeta«: eine Musik, die uns mit ihrem archaischen Klang und Elementen, wie sie der Musik der spanischen Rom_nja eigen sind, tief ins 19. Jahrhunderts zurückversetzt.

Sein bedeutendster Schüler sollte »El Fillo« sein, der das musikalische Vokabular des cante gitano andaluz bereicherte. Dieser Schüler war es auch, der seine berühmte Siguiriya endgültig bekannt machte, die sogenannte siguiriya primitiva, erstmals aufgenommen von Pepe Torre – dem Bruder von Manuel Torre – für die »Antología del Cante Flamenco« (Columbia 1960):

»A la luna le pío,
la del alto cielo.
Cómo le pío, le pío,
que me saque a mi padre
de donde está metío.«

»Den Mond bitte ich,
dort hoch am Himmel.
Wie ich ihn bitte, bitte,
er möge meinen Vater herausholen
wo man ihn festhält.«

Den Spitznamen »El Planeta«, heißt es, hat er von diesem Lied, eben weil darin die Rede vom Mond ist, der seinem Vater zu Hilfe kommen möge.

Der folgende Link bietet drei Versionen der »Siguiriya del Planeta«, eine musikalische Form, die auf meisterliche Weise Dur und Phrygisch mischt, mit Modulationen in ein und derselben Phrase von Dur zu Phrygisch und wieder zu Dur, wie wir in dem Vers »la del alto cielo« hören können. Dieser sogenannte cante cabal wird üblicherweise zum Abschluss eines Gesangs im Stil der Siguiriya gesungen.

Die erste Version ist die von Pepe Torre, aufgenommen 1959, mit Melchor de Marchena an der Gitarre:
http://canteytoque.es/planetapt1.mp3

Eine zweite Version stammt von Rafael Romero aus dem Jahr 1968:
http://canteytoque.es/planetarom11.mp3