»Basisdemokratische Organisierung bedeutet, Ideen in die Praxis umzusetzen.« 2011 kehrte Carmen Gheorghe an ihren Geburtsort im Roma-Viertel von Mizil zurück, um die Gemeinschaft unter den dort lebenden Frauen zu fördern.

In der sozialistischen Ära arbeitete ihr Vater in einer Fabrik und ihre Mutter schmiss den Haushalt in Mizil. In der Schule wurden Roma-Kinder damals auf die hinteren Bänke verwiesen, die für »besondere« Kinder vorgesehen waren. Carmen teilte sich eine Bank mit einem Mädchen, deren Mutter eine Abtreibung durchgeführt hatte. Das war unter Ceauşescu illegal und die gesamte Familie wurde für die Entscheidung der Mutter geächtet. Lehrkräfte hegten damals – und manchmal sogar heute noch – keinerlei akademische Erwartungen an ihre Roma-Schüler_innen. Carmens Mutter sagte zu ihr: »Deshalb solltest du nie sagen, dass du Romni bist.« Die Mutter starb, als Carmen dreizehn Jahre alt war, aber sie inspirierte Carmen dazu, selbständig zu denken und sich nicht von Männern abhängig zu machen – »beinahe als hätte sie gewusst, dass sie dafür später keine Zeit haben würde«. Eine von Carmens Tanten arbeitete in einer Versicherung und ermutigte Carmen dazu, die Annahme herauszufordern, Mädchen könnten nicht die gleichen Möglichkeiten nutzen wie Jungen.

Carmen sieht sich selbst als Aktivistin, versucht aber nicht, für Frauen zu sprechen. Vielmehr glaubt sie daran, »ihnen eine Chance zu geben, um gehört zu werden«. Ihre M.A.-Abschlussarbeit zu einer neuen Vorstellung von Romnja in der Geschichte unterstreicht ihren Fokus auf Frauen, deren Leben unsichtbar geblieben sind, weil sie »nur durch die Augen des Anderen gesehen werden«.

2012 reiste Carmen unter der Schirmherrschaft des US amerikanischen International Leadership Program in die USA. Sie konnte sich mit der nachbarschaftlichen Gemeindearbeit durch unkommerzielle Organisationen in fünf Bundesstaaten beschäftigen. »Das war eine persönliche Reise, die mein Leben veränderte; eine neue Art, Menschen zu sehen.« Als sie nach Rumänien zurückkehrte, gründete Carmen den Verein E Romnja. Ein Teil der anfänglichen Finanzierung kam von Mama Cash, einer niederländischen Organisation, die weltweit Fraueninitiativen fördert. Heute kommen die Gelder von den Open Society Foundations und den Norway Funds. Carmen hält Abstand von einer Finanzierung durch die Regierung, um unabhängig zu bleiben. E Romnja ist in städtischen wie ländlichen Kontexten aktiv, insbesondere in den ärmsten Regionen Rumäniens.

In Mizil besteht E Romnja heute aus einer Gruppe aus zehn bis zwölf Frauen unterschiedlichen Alters, die sich für notwendige Verbesserungen der Infrastruktur einsetzen. Vor zwei Jahren gelang es ihnen, die lokalen Behörden zu überzeugen, die Straßen zu asphaltieren. Eine Frau, die in einer der nicht asphaltierten Straßen lebte, hatte verkündet: »Wenn der Bürgermeister nicht unsere Straße asphaltiert, werde ich bei der kommenden Wahl nicht für ihn stimmen.« Eine Woche später war die Straße asphaltiert. Doch gibt es in dem Ort noch immer nur zwei Wasserpumpen und kein Abwassersystem.

»Macht bedeutet, die Gemeinschaft zu organisieren und unsere Rechte einzufordern. Im lokalen Kontext gibt es immer Probleme mit dem Machtgleichgewicht: reich/arm; Altersunterschiede; Rom_nja/Gadje; männlich/weiblich. Männer und Frauen haben beide die paternalistischen Konzepte der Rolle von Frauen verinnerlicht. Für viel_E Romnja_ gehen diese Unleichheiten mit Problemen der Armut und dem fehlenden Zugang zu Ressourcen einher.«

E Romnja hat eine Reihe innovativer Herangehensweisen an Konflikte entwickelt. In einer ländlichen Region, in der viele Rom_nja den Pfingstkirchen anhängen, hat E Romnja interveniert, um Frauen das Recht auf reine Frauengesprächsgruppen zu verschaffen. Frauen aus der Gruppe in Mizil haben eine Fotoausstellung für E Romnja konzipiert. Eine durch die Gruppenarbeit des Vereins gestärkte Frau, Aldeza, wurde Studentin und hat gerade die Universität in Ploieşti abgeschlossen. Sie gehört jetzt auch zu E Romnja.

»Beim Feminismus geht es um die Ermächtigung von Frauen. Es gibt Hunderte von Problemen, die überproportional Romnja betreffen. Leider reproduzieren manche Roma-Organisationen die breiteren gesellschaftlichen Muster. Das Konzept der Intersektionalität und somit der Frauenrechte steht nicht im Konflikt mit dem Konzept der ›Roma-Inklusion‹.«